Netzecke
– Das Internetmagazin der Lindauer Auto-Fabriken –

Zu den neuesten Neuigkeiten geht's hier, und die vom Winter 2012 gibt's hier.

Meldungen

In den USA soll das Wahlrecht massiv eingeschränkt werden. Die Ausweispflicht soll massiv verschärft werden, was vor allem die Armen betrifft, die die nötigen Papiere oft nicht haben, sowie StudentInnen, die nicht an ihrem Geburtsort wohnen. Außerdem sollen z. B. ehemalige Strafgefangene nicht mehr wählen dürfen. In 38 Bundesstaaten sind solche Einschränkungen in der Mache oder sogar schon beschlossen. Dagegen protestierten am 10.12. in New York vor dem UN-Gebäude Zehntausende.
In Eugene (Oregon/USA) feierten an diesem Tag nach Medienangaben 20 AnarchistInnen (von Punx bis zu Omas) den Geburtstag des anarchistischen Theoretikers und russischen Revolutionärs Peter Kropotkin. Kropotkin hat u. a. bedeutende Kritiken am Sozialdarwinismus verfasst, indem er z. B. in seinem Werk "Gegenseitige Hilfe" aufzeigt, dass schon in der Natur und erst recht in der menschlichen Gesellschaft das Grundprinzip nicht der Konkurrenzkampf, sondern die Kooperation ist.
Der abgetretene Bahnchef Hartmut Mehdorn, der sich schon bei der DB nur für ICEs interessiert hatte und es irgendwie cool fand, den ganzen Quatsch aus dem Flugverkehr wie z. B. Frühbucherrabatt zu kopieren, hat jetzt bei Air Berlin endlich seinen Traumberuf gefunden. Dort steigen jetzt auch die Preise.
Cool finden manche Leute auch die Abkürzung ACAB, und einige haben daraus gleich einen Aktionstag gemacht, indem sie aus dem 1., 3., 1. und 2. Buchstaben des Alphabets die Aufforderung ablasen, am 13.12. entsprechende Botschaften zu verbreiten.
In Liechtenstein und Slowenien sind die Rechte von Homosexuellen gestärkt worden. In Liechtenstein wird eine eingetragene Partnerschaft ermöglicht, die sie z. B. im Steuer-, Erb- und Sozialversicherungsrecht mit Ehepaaren gleichstellt, in Slowenien wurden nach einem Beschluss des Verfassungsgerichts die Rechte dieser Partnerschaften nachgebessert. Konservative Kreise sind in beiden Ländern dagegen: in Slowenien werden Unterschriften für einen Volksentscheid gesammelt, in Liechtenstein hat schon einer stattgefunden. Allerdings haben dort satte 70% für die Gleichberechtigung gestimmt. Wer hätt's gedacht?
Eingeschränkt werden sie dagegen in Russland. Eine ganze Reihe von Städten erließ Gesetze zur Kriminalisierung von "Propaganda für Homosexualität vor Minderjährigen", was praktisch auf jede derartige Äußerung oder Handlung in der Öffentlichkeit angewandt werden kann, weil die ja immer irgendwelche Minderjährigen mitbekommen könnten. In St. Petersburg wurde die Verabschiedung des Gesetzes immerhin durch Proteste verhindert.
Erfolg im Berliner Spätkauf-Lohnkampf: Ein prekär Beschäftigter, der bei dem Laden einen Minijobvertrag hatte, aber tatsächlich 60 Stunden pro Woche buckeln musste und so auf einen Stundenlohn von 50 Cent kam, bekommt sein Geld. Darauf einigte er sich am 20.12. mit seinem Ex-Chef, der damit einem Urteil des Arbeitsgerichts zuvorkam. Am 16. hatte die FAU vor dem Laden nochmal eine Protestkundgebung abgehalten.
Die FAU kriegt übrigens auch wieder internationale Rückendeckung: Die Bundesregierung bekam im November einen bösen Brief von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die sich über die Behinderung der Tätigkeit kleiner Gewerkschaften beschwerte und insbesondere für die FAU Berlin Meinungsfreiheit und Beteiligungsrechte anmahnte.
Am 21.12. hat die Bürgerinitiative gegen Billiglohn die Diakoniestiftung Altenhilfe Sophienhaus in Weimar mit der "Goldenen Nase" ausgezeichnet. Die "Goldene Nase" ist ein Preis für Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen, Arbeitnehmerrechte brechen oder Tarifverträge ignorieren.
Auf einer Konferenz in Mexiko-Stadt haben zahlreiche lateinamerikanische Staatsoberhäupter über das Drogenproblem diskutiert. Sie verurteilten das ganze Geschäft, das an der US-Grenze zu bürgerkriegsähnlichen Situationen führt. Wenn die USA und Europa es schon in 40 Jahren Krieg gegen Drogen nicht auf die Reihe bekommen hätten, den Konsum einzudämmen, dann sollten sie das Zeug doch gleich freigeben, um wenigstens die Prohibitionsgewinne zu schmälern. Dadurch, dass Rauschmittel verboten sind, zahlen die KonsumentInnen irrsinnige Summen dafür, und das Geld landet bei Mafien und Bürgerkriegsparteien, die sich damit immer weiter aufrüsten. So gehen Drogen in den Norden und Waffen in den Süden. Allein in Mexiko hat dieser Krieg in den letzten Jahren 45.000 Tote gefordert.

Klima verdurban

So, das war's dann wohl mit der Rettung von irgendwas. Nachdem bei der Klimaschutzkonferenz von Durban schon praktisch nix rausgekommen ist außer der Ansage, dass man sich ja in ein paar Jahren mal auf was einigen könnte, hat sich Kanada gleich noch aus dem Kyoto-Protokoll verabschiedet. Die Konservativen, die dort jetzt an der Macht sind, werden offensichtlich von wirtschaftlichen Interessen getrieben. Es bestand ja mal die Hoffnung, dass das Öl einfach irgendwann mal ausgeht und der Klimawandel dann notgedrungen gebremst wird; aber da habt Ihr nicht mit dem Kapitalismus gerechnet, der auch noch den letzten Öltropfen finden und verheizen will. Im Fall von Kanada sind das Teersande, aus denen mit entsprechendem Aufwand auch noch Sprit gemacht werden kann; um vier Liter davon zu gewinnen, ist ein Energieaufwand von einem Liter nötig. Benzin aus Teersand ist also schon von Haus aus um ein Drittel klimaschädlicher als normales Benzin! Und während das gemeine Volk auch in Kanada unter Klimawandel und Wetterextremen eher leidet, von der Natur ganz zu schweigen, freut sich die Elite über das schmelzende Eis, das neue Transportrouten an der kanadischen Nordküste eröffnet und riesige Gebiete freigibt, auf bzw. unter denen jede Menge Bodenschätze zu finden sind. Am besten natürlich Ölquellen.

abgesoffene Eisbären

Kurs richtig - nur dieser blöde Eisberg!

Gegen die Atomkraft bildeten am 26.2. 150 Leute eine Menschenkette in der Lindauer Fußgängerzone, und weil die Aktion so erfolgreich war, gab es anschließend gleich noch eine Spontandemo über die Insel. Vierzehn Tage später sollte dann BRD-weit mit Menschenketten an mehreren AKW-Standorten gegen die Laufzeitverlängerung demonstriert werden; von Lindau aus wurden Busse nach Neckarwestheim organisiert. Dreizehn Tage später flog dann aber erst mal das AKW Fukushima in die Luft. Nach Neckarwestheim kamen 60.000 Leute, und die weiteren Demos bis zum 25. Jahrestag des Atomunglücks von Tschernobyl am 26.4. wurden auch nicht kleiner. Am Ostermontag demonstrierten 8000 Leute in Günzburg, also in der Nähe "unseres" AKWs Gundremmingen, am Dienstag (26.4.) hielten in Lindau 70 Menschen eine Mahnwache ab. Und dann war die Laufzeitverlängerung auch schon wieder vom Tisch.
Stillgelegt werden sollen laut der aktuellen Ausstiegsplanung die beiden Gundremminger Reaktoren erst 2017 bzw. 2021, der verbliebene Block von Neckarwestheim sogar erst 2022. Aber wegen verschiedener Stillstände (nur noch vier von 17 Reaktoren am Netz) erreichte die Atomstromproduktion in Deutschland mit 5,5 Gigawatt Ende Mai schon mal ein Rekordtief, ohne dass das Licht ausging.
Nach Japan. Das Europäische Komitee zu Strahlungsrisiken ECRR hat errechnet, dass dort in den nächsten 50 Jahren wegen Fukushima rund 420.000 Leute Krebs bekommen werden, und zwar von den drei Millionen, die weniger als 100km vom AKW entfernt wohnen, 200.000, und von den sieben Millionen, die 100-200km davon weg sind, 220.000. Die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP kommt nur auf 6158 zusätzliche Krebsfälle. Der Unterschied ist, dass die ICRP theoretische Werte mit ziemlich vielen Vermutungen verwendet, die auf die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zurückgehen, während das ECRR mit den Daten von Tschernobyl arbeitet. Laut Dimitri Medwedjew leben übrigens von den 829.000 Tschernobyl-"LiquidatorInnen" (also den Leuten, die das explodierte AKW Tschernobyl anno 1986 unschädlich machen sollten) bloß noch gut 200.000. Dazu gibt's aber sehr unterschiedliche Angaben. Andere Quellen reden von 112.000 Toten, aber über 90% seien krank. Für ganz Europa werden bis 2056 240.000 Krebsfälle prognostiziert, die ohne Tschernobyl nicht auftreten würden.
Übrigens, den überlebenden LiquidatorInnen in der Ukraine sollen jetzt ihre Invalidenrenten zusammengestrichen werden. In Donezk gab es deswegen ein Protestcamp mit Hungerstreik, das auch von AnarchistInnen unterstützt wurde. Die Verwaltung reagierte erst mal mit bösartiger Propaganda und ließ das Camp am 12.12. dann von der Polizei räumen.
Ende Juni hat der Augsburger Anti-Atom-Aktivist Raimund Kamm (Forum Gemeinsam gegen das Zwischenlager) vom AKW Gundremmingen einen Brief bekommen, er solle doch bitte nicht immer sagen, es verursache Krebs. Ist ja schließlich alles unter den Grenzwerten. Dabei wurde gerade neulich aufgedeckt, dass bei der AKW-Revision die Reaktoren belüftet werden und deswegen massive Strahlungsspitzen auftreten, die noch dazu aus den Messprotokollen "herausgerechnet" werden und so in den Aufzeichnungen gar nicht sichtbar sind. Bei der Revision im September konnten UmweltaktivistInnen aber endlich durchsetzen, dass sie die Messdaten der Abluftkamine bekamen, und siehe da, beim Öffnen des Reaktordruckbehälters stieg die Konzentration radioaktiver Edelgase in der Abluft von ca. 3 schlagartig auf über 700 Kilobecquerel pro Kubikmeter an. Könnte es wohl sein, dass solche gelegentlichen "Strahlenduschen" die Häufung von Krebsfällen in der Umgebung von AKWs erklären, für die die Strahlung im Normalbetrieb theoretisch viel zu gering ist?
Wie sich herausstellte, stammten die radioaktiven Abgase vor Allem aus einigen defekten Brennelementen. Die Hüllen der plutoniumhaltigen MOX-Elemente sind undicht, so dass die bei der Kernspaltung entstehenden radioaktiven Gase austreten und letztlich in die Umwelt gelangen können. Es wird vermutet, dass die Siedewasser-Technologie die Schäden verursacht (in Gundremmingen stehen die letzten Siedewasserreaktoren von Deutschland, die anderen noch laufenden AKWs sind modernere Druckwasserreaktoren). Wieso es ausgerechnet die MOX-Elemente trifft, ist unklar; das "Forum gegen das Zwischenlager" vermutet Pfusch bei der Herstellung. Ein totaler MOX-Verwendungsstopp bis zur Klärung der Ursachen wurde im Landtag abgelehnt, allerdings wurde das AKW dann trotzdem nochmal heruntergefahren und jedes Element einzeln auf Schäden überprüft, ohne dass der Fehler gefunden wurde.
Der letzte Castortransport von La Hague nach Gorleben hat dank zahlreicher Blockaden den Streckenrekord um 33 auf 127 Stunden verbessert. Jetzt sollen noch Transporte aus Sellafield kommen. Allerdings ist Gorleben eigentlich schon voll! Zumindest wurde mit der letzten Einlagerung der zulässige Strahlungs-Grenzwert überschritten. Aber wozu haben wir eine Atomaufsicht? Die zieht von den Strahlungswerten noch einen Betrag als "Hintergrundstrahlung" ab. Der Haken: Diese "natürliche" Strahlung wurde gemessen, als schon die ersten 40 Castoren eingelagert waren. Schon komisch, dass das für 420 Castoren genehmigte Lager bereits mit den ersten 100 den Grenzwert erreicht hat. Immer noch nicht weg sind die eigentlich für Anfang diesen Jahres vorgesehenen 152 Castoren aus dem Forschungszentrum Jülich bei Aachen, die nach Ahaus gebracht werden sollen. Die sollen jetzt "ab Anfang 2012" fahren.
Am 12.12. holte mal wieder ein Zug Abfall-Uran aus der Brennelementefabrik Gronau ab. Weil Uran nicht so wild strahlt wie der Müll aus den AKWs, durfte der Zug auch mal kurz in Burgsteinfurt am Bahnhof Pause machen und wartende Fahrgäste bestrahlen.
Dabei brauchen wir diesen ganzen Mist gar nicht: Trotz der Abschaltung der alten AKWs wurde auch heuer wieder in Deutschland mehr Strom produziert als verbraucht, der Überschuss wird exportiert, u. a. nach Frankreich. Die Bundesregierung hatte übrigens geplant, dass in Deutschland bis 2020 20% des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen soll; tatsächlich sind heuer schon 19,9% erreicht worden, nur noch 17,7% kommen aus AKWs. Wenn man noch berücksichtigt, dass z. B. AKWs 4-5% des Stroms, den sie produzieren, gleich selber verbrauchen, ist das Verhältnis sogar noch besser: An der Nettostromproduktion haben die Erneuerbaren 23% Anteil, die AKWs dagegen unter 17%. Der Rest bleibt trotzdem dreckig, allein Braun- und Steinkohle machen über 43% aus.

Atom-Combo

Freilaufend

Yeah, sie sind raus: Die angeklagten 13 TierrechtlerInnen in Österreich sind nach fast drei Jahren Justizterror am 2.5. alle in sämtlichen Anklagepunkten freigesprochen worden. Zehn Leute verbrachten nach jahrelanger Überwachung und Verhaftungen durch den bewaffneten Weckdienst den Sommer 2008 in U-Haft, die Ermittlungsbehörden produzierten Tausende Seiten Akten und setzten sogar eine verdeckte Ermittlerin ein, die mit einem der Angeklagten eine Beziehung anfing und den Bütteln so Wissen aus seinem Privatleben liefern konnte, mit dem sie ihn dann in den Verhören fertigmachten. Aber nach fast 100 Prozesstagen blieb von dem Vorwurf, eine "kriminelle Organisation" gebildet zu haben, trotz der Dehnbarkeit dieses Begriffs einfach nix mehr übrig.
Der Mega-Hühnerschlachthof in Wietze ist am 5.9. in Betrieb gegangen. Allerdings eher symbolisch, es läuft nur eine Schlachtlinie, und das auch nur im Ein-Schicht-Betrieb. Ganz offensichtlich fehlen die Hühner, weil im Umland viel zu wenig Mastanlagen entstanden sind. Erst am 12.8. war bei Wunstorf wieder mal ein Hühnermastanlagenbauplatz besetzt worden. Die Besetzung wurde noch am selben Tag geräumt, stand aber sowieso auf dem falschen Acker. Der richtige wurde in der Woche darauf besetzt. Momentan wird Wietze hauptsächlich mit dänischem Geflügel beliefert.

Das glückliche Huhn

Nur für ein paar Bäume

Mit zahlreichen Camps, Blockaden und Protestaktionen ging auch heuer der Kampf um die Rettung des Waldes von Chimki bei Moskau, der für die neue Autobahn nach St. Petersburg abgeholzt werden soll, weiter. Selbst jetzt steht dort noch ein Wintercamp, mit Tipi und beheizbarem Bürocontainer. Die Bullen stressen wie immer, und der französische Baukonzern Vinci, der das ganze Autobahnprojekt als private Mautstrecke bauen und betreiben möchte, schickte eine Pseudo-Umweltorganisation vor, deren Vertreter das Projekt erst mal als ökologisch verträglich hinstellen wollte und dann versuchte, das Camp durch Zahlung eines Schmiergeldes zum Verschwinden zu bewegen.
Wegen der Proteste wurde die Planung schon von acht auf vier Spuren reduziert, so dass sie nur noch 26 Meter breit wäre. Dass die Autobahn viel besser woanders lang gebaut werden könnte, wo kein Wald im Weg steht, interessiert die Behörden genausowenig wie dass die Baufirma die Schneise jetzt trotzdem hundert Meter breit geschlagen hat. Sie ist schon acht Kilometer lang. Interessanterweise interessiert sich die Staatsanwaltschaft jetzt aber doch dafür, dass die Rodung ohne Genehmigung erfolgt.
Am 25.11. wurde die Vinci-Vertretung von Park d'Ixelles in Brüssel angegriffen. Die Kabel der Überwachungskameras wurden durchtrennt, Schlösser verklebt, Tore mit Ketten blockiert und Plakate mit einer Erklärung für die Angestellten (hauptsächlich ParkgebührenkontrolleurInnen) angebracht. Vinci ist ein weltweiter Riesenkonzern, der als Kerngeschäft Autobahnraststätten, Parkplätze usw. betreibt, aber auch noch Töchter in allen möglichen Bereichen hat.
Ein großes Problem war die Repression. Nicht so sehr in Russland selbst. Das Verfahren gegen die beiden Antifaschisten, die letzten Sommer wegen einer Chimki-Demo verhaftet worden waren, endete am 24.6. mit einer Bewährungsstrafe und einem Freispruch. Dafür wurde der Bruder des einen, der wegen dieser Geschichte in der Ukraine Asyl beantragt hatte, dort für fünf Monate in Auslieferungshaft genommen, ehe er schließlich in die Niederlande ausreisen konnte.
Schlechter erging es drei Minsker Anarchisten, die u. a. wegen Soliaktionen für die beiden in Moskau Verhafteten angeklagt waren: Die kommen trotz lausiger Beweislage für bis zu acht Jahre unter verschärften Bedingungen ins Straflager. Drei weitere weißrussische Anarchisten, die im Zuge der Ermittlungen in dieser Sache verhaftet wurden, bekamen wegen eines Angriffs auf ein KGB-Gebäude mit 60€ Sachschaden sieben Jahre, ebenfalls verschärft. ABC Belarus, das weißrussische Anarchist Black Cross, dankte der Welt für 74 Soliaktionen in den 8½ Monaten seit Prozessbeginn.

Der Wolf

Wo der Bär steppt

Auch in der Ex-Sowjetunion regt sich Widerstand. In Weißrussland gab es seit den manipulierten Wahlen vom 19.12.2010 Proteste. Ein Bombenanschlag auf die Minsker Metro am 11.4. lieferte dann den Vorwand zu großflächiger Repression, die dem Lukaschenko-Regime sogar erlaubte, den jährlichen Tschernobyl-Marsch, die einzige legale Oppositionskundgebung, massiv einzuschränken (und das zum 25. Jahrestag der Reaktorkatastrophe, die Weißrussland schwer getroffen hat, und sechs Wochen nach Fukushima!). "Aufgeklärt" wurde der Anschlag übrigens durch die Verhaftung einiger armer Schweine, von denen zwei per Foltergeständnis zu Schuldigen erklärt und am 30.11. zum Tod verurteilt worden sind. TodeskandidatInnen in Weißrussland erfahren ihren Hinrichtungstermin erst, wenn sie abgeholt werden. Dann werden sie erschossen. Ihre Angehörigen werden erst Wochen oder Monate später benachrichtigt und erfahren auch nicht, was mit den Leichen passiert.
Im Juni kam wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und einer erneuten Abwertung des weißrussischen Rubels dann trotzdem wieder eine oppositionelle Bewegung auf. Es kam zu Verkehrsblockaden, und weil Kundgebungen immer verboten werden, sammelten sich die Leute einfach in den Innenstädten und gaben nichts kund. Wenn genügend NichtdemonstrantInnen auf einem Haufen waren, begannen sie einfach, rhythmisch zu klatschen. Es gab wahnsinnig viele Verhaftungen für bloßes Rumstehen.
Die Repression scheint teilweise erfolgreich gewesen zu sein, aber so genau wissen wir das nicht. Dank der Verwässerung des Bankgeheimnisses konnten die weißrussischen Behörden endlich der Menschenrechtsorganisation Wjasna das Handwerk legen – litauische und/oder polnische KollegInnen rückten die Daten von Spendenkonten ihres Vorsitzenden Bialitski in der EU auf Anfrage bereitwillig heraus, er wurde am 24.11. wegen Steuerhinterziehung zu 4½ Jahren verknackt. Praktisch bedeutet das jetzt auch, dass wir weniger Infos aus Weißrussland bekommen, weil Wjasna ohne dieses Geld nicht arbeiten kann.
In Kasachstan läuft seit Mai (siehe Zecke von damals) ein Streik in der Ölindustrie; die Anwältin der Streikenden, Natalia Sokolowa, ist seit Juli wegen "Anstachelung sozialer Unruhen" in Haft. Es kam von Anfang an zu gewaltsamen Polizeieinsätzen gegen Protestaktionen, aber am 16.12., dem Unabhängigkeitstag, als in Shanaosen 3000 ÖlarbeiterInnen friedlich gegen die Entlassung von über 1000 KollegInnen demonstrierten, raste plötzlich ein Polizeiauto ungebremst in die Masse und wurde gleich mal aufs Dach gelegt. Daraufhin griffen Polizei und Armee u. a. mit Panzern an; im Laufe des Nachmittags wurden 70 Tote und über 500 Verletzte gemeldet. Diktator Nursultan Nasarbajew verhängte den Ausnahmezustand über die Stadt und ließ sie total von der Außenwelt abschneiden. Dennoch breiteten sich die Unruhen auf die Nachbarstädte aus, ein regionaler Generalstreik wurde ausgerufen. Die bestreikten Betriebe gehören übrigens britischen, chinesischen und italienischen Konzernen.
In Russland ging es heuer erst ganz am Schluss richtig rund. Am 4.12. wurde die Staatsduma (das Bundesparlament) neu gewählt, dabei konnte sich Putins Partei "Einiges Russland" nur dank massivster und teilweise sehr plumper Wahlfälschungen gerade noch eine knappe Mehrheit beschaffen. Das löste eine ungeahnt heftige Protestwelle aus. Bereits direkt nach der Wahl kamen die Gerichte mit den Haftbefehlen gar nicht nach, die meisten der über 1000 Verhafteten wurden spätestens nach 48 Stunden entlassen.
Pech hatte der St. Petersburger Anarchist und Menschenrechtler (Memorial) Philipp Kostenko, den hatten die Pigs nämlich schon direkt vor der Wahl mal abgegriffen, drum gehörte er zu den Auserwählten, die dem Gericht vorgeführt wurden; er bekam 15 Tage Ordnungshaft und trat sofort in den Hungerstreik. Trotzdem wurde er am 20.12. nicht freigelassen, sondern unter dem Vorwurf einer weiteren Ordnungswidrigkeit aus dem Knast direkt zurück in den Polizeigewahrsam geschickt.
Am 22. folgte ein richtig krass inszenierter politischer Prozess: Philipp hatte im Oktober auf einer Bullenwache Essenspakete für Gefangene abgegeben, wobei er kurzzeitig ohne Begründung festgehalten wurde. Daraus zauberten die feinen Herrschaften vom E-Zentr (russischer Staatsschutz) jetzt eine Anklage wegen angeblichen Fluchens in der Öffentlichkeit. Sicherheitshalber traten gar keine Zeugen auf, sondern es wurden nur schriftliche Aussagen von drei Cops der Wache vorgelegt. Unter den wachsamen Augen eines E-Zentr-Mitarbeiters lehnte die Richterin sämtliche Anträge der Verteidigung ab. Sie tat abwechselnd gelangweilt und genervt – kein Wunder, das Urteil stand ja längst fest. Sie ließ nur einen einzigen Entlastungszeugen zu (den sie dann nach Strich und Faden niedermachte), lehnte es auch ab, die Belastungszeugen zu befragen und verknackte Philipp nach vier Stunden schließlich zu weiteren 15 Tagen Ordnungshaft. Er sitzt also bis nächstes Jahr.
Weil alle, die auf den Demos verhaftet worden waren, entlassen worden waren außer ihm selbst, beendete er anschließend auch seinen Hungerstreik. So ist er halt. Hätte er aber vielleicht besser schon vorher machen sollen, er war im Gericht nämlich sehr geschwächt, beteiligte sich kaum aktiv und ließ sogar eine Chance zur Flucht sausen. Ein Freund teilte übrigens mit, Philipp sei einer von den wenigen Menschen, die er kenne, die einfach überhaupt nie fluchen.
Nach der Urteilsverkündung verließ die Richterin den Saal unter lauten Buh-Rufen. Sie wies die Gerichtsdiener an, sie sollten die Leute "aufschreiben". Sie packten sich eine schmächtige junge Filmregisseurin und verhafteten sie; sie kam letztlich gegen Zahlung von 1000 Rubeln (25€) frei.
Zurück zu den Ereignissen draußen. Am 10.12. war in Russland ein landesweiter Aktionstag mit Kundgebungen in fast 100 Städten. In Nishny Nowgorod demonstrierten Tausende, im sibirischen Irkutsk 1000 v. a. junge Leute, in vielen anderen Provinzstädten waren es typischerweise immer so 1000 bis 3000 Leute. Diesmal hielt sich die Staatsmacht meist zurück, es gab nur rund 400 Festnahmen und die dauerten meist nur ein paar Stunden. Aus St. Petersburg wurden allerdings erneut Polizeigewalt, Massenverhaftungen und Schnellverfahren gemeldet.
Die größte Demo fand in Moskau statt, dort waren es mindestens 100.000 oder auch viel mehr Leute, die größte Kundgebung seit den 90ern, und zwar einschließlich Regierungsveranstaltungen. Die Demo war ursprünglich für den Revolutionsplatz angekündigt, wurde jedoch von den Behörden auf den Bolotnaja-Platz auf einer Moskwa-Insel verlegt. Sture Linksradikale setzten aber eine Demo mit mehreren tausend Leuten vom Revolutionsplatz auf die Insel durch.
Interessant die Spaltung der Faschoszene, die sich teilweise an den Demos beteiligt, teilweise aber auch an den Gegenaktionen der "Naschi" (Putin-Jugend). Am Wahlabend gab es in Moskau sogar eine direkte Konfrontation zwischen beiden Seiten.
Das gesellschaftliche Klima ist auf jeden Fall gekippt, wer nach einer Protestaktion in die Kneipe geht, kriegt statt aufs Maul jetzt des öfteren einen ausgegeben. Das Problem sind die Alternativen; außer den Putin-Parteien gibt's nur noch die KP und nationalistische Parteien. Die will eigentlich auch niemand an der Macht sehen, außer ihnen selbst natürlich. Anarchistische Kräfte haben dafür eine einfache Lösung, aber leider noch nicht genügend Kräfte. In Moskau durften außer dem Bürgerrechtler Ponomarjow entgegen vorherigen Zusagen gar keine Linken auf die Bühne, zum Glück war die Lautsprecheranlage eh viel zu klein und in den hinteren Reihen Basisarbeit ganz gut möglich. Eine Gruppe Nazis konnte vergrault werden, reihte sich aber letztlich irgendwo anders in die Massen ein.
In Berlin demonstrierten 500 Leute von der russischen Botschaft zum Reichstag, darunter viele junge (Ex-)RussInnen, die dem Schröder eine Lupe wünschten. In Hamburg gaben 150 Leute ihre Solidarität am russischen Konsulat kund, in München 200 (trotz Schneeregen) und in Köln war auch was.
Natürlich gab es in Russland jede Menge autonome Aktionen rund um die Wahl; angezündet wurden unter anderem Putin-Parteibüros in Schelkowo bei Moskau und Brjansk, die üblichen Maschinen auf waldverbrauchenden Baustellen und Polizeiautos und -einrichtungen. Außerdem gab die Frauenpunkband Pussy Riot ein (kurzes) Konzert auf einem Garagendach neben einer Gefangenensammelstelle in Moskau, wo vor allem DemonstrantInnen inhaftiert sind; den Bütteln gefiel das zwar nicht, aber die Pussys entkamen unerkannt über die Hinterhöfe. Am 21. gab es einen Flashmob in der U-Bahn von Moskau, und in der Nacht darauf brannte dort wieder ein Parteibüro von "Einiges Russland" (übrigens ein unbewohntes Gebäude, die TäterInnen legten Wert darauf, keine Personen zu gefährden).
Das gefälschte Parlament trat unterdessen ungeniert schon mal zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen, die Opposition verhielt sich weniger kooperativ als bisher, was aber dank der absoluten Mehrheit der Putin-Partei letztlich nicht viel ausmacht. Parallel dazu gab es wieder landesweite Proteste, und die nächste Großdemo in Moskau ist für den 24.12. angesetzt (in Russland ein normaler Samstag, Weihnachten ist im orthodoxen Kirchenkalender erst 13 Tage später als bei uns).
Um dem Vorwurf der Einseitigkeit entgegenzuwirken und auch den Protest zu demokratisieren, wird die RednerInnenliste für die Kundgebung am 24. übrigens per Internetabstimmung festgelegt. Erster war bei Redaktionsschluss der rechtslastige Blogger Alexej Nawalny, den exakt ein Drittel der Abstimmenden auf der Bühne sehen wollten; er konnte am 10. nicht auftreten, weil er wegen vorangegangener Wahlproteste im Knast saß. Dann folgt schon mit einem guten Viertel der Musiker Juri Schewtschuk, der im August 2010 auf der Chimki-Demo aufgetreten war und wesentlich am Zustandekommen des (leider nur vorübergehenden) Baustopps beteiligt war.
Überhaupt findet sich eine Reihe von Chimki-AktivistInnen im vorderen Mittelfeld der 304 Vorschläge. Die Vorsitzende der BI Chimki, Eugenia Tschirikowa, liegt mit gut 10% auf Rang 24, direkt hinter dem im Westen zum Hoffnungsträger aufgebauschten Garri Kasparow und zwei Plätze vor dem Ultranationalisten Demuschkin. Auf Rang 29 folgt der Journalist Oleg Kaschin, der nach kritischer Berichterstattung u. a. zu Chimki von Unbekannten brutal zusammengeschlagen wurde und ein paar Fingerglieder einbüßte. Ex-Chimki-Geisel Alexej Gaskarow kommt mit gut 5% immerhin noch auf Rang 66, während es für den anarchistischen Journalisten Wlad Tupikin mit 1,5% nur für den 137. Platz reichte; immerhin hat er noch doppelt soviele Stimmen wie das orthodoxe Kirchenoberhaupt, der Moskauer Patriarch Kyrill, der nur 204. wurde. Überraschend recht weit nach vorne hat es übrigens der olle Gorbatschow geschafft, mit fast 13% stand er auf dem 11. Platz.
Manches hat sich in Russland jedoch nicht geändert. In der Nacht auf den 11.12. wurde in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala der Journalist und Menschenrechtler Hadschimurad Kamalow vor seinem Büro erschossen. Drohungen und Schikanen hatte es schon zuvor gegeben, und erst im Mai war seine Zeitung "Tschernowik" nach langem Prozess vom Vorwurf der Volksverhetzung (wegen polizeikritischer Artikel aus dem Jahr 2008) freigesprochen worden.

Der Wolf

Weltrevolutionstournee

Das weltweite Wirtschaftssystem holpert nun schon seit einigen Jahren von Krise zu Krise. Und nach dem spektakulären Selbstmord eines arbeitslosen tunesischen Gemüsehändlers kurz vor Weihnachten 2010 hat auch endlich der revolutionäre Funke gezündet. Die arabischen Massen vergaßen ihre Verpflichtungen als islamistische Schreckgespenste im Kampf der Kulturen um Rüstungsdeals, Ölquellen und Antiterrorgesetze und gingen einfach für Freiheit und Demokratie auf die Straße. In Tunesien und Ägypten stürzten sie sehr schnell die Präsidenten, Ben Ali landete im Exil und Mubarak hinter Gittern. Etwas länger dauerte es in Jemen und Libyen. In zahlreichen anderen Ländern gab es Protestbewegungen. Teilweise wurden sie blutig niedergeschlagen (wie in Bahrain, wo das saudische Panzer übernahmen; die deutsche Regierung hält trotzdem daran fest, den Verkauf von 270 zur Aufstandsbekämpfung geeigneten Panzern an Saudi-Arabien zu erlauben!), teilweise führten sie zu Reformen.
In Syrien entwickeln sie sich durch das brutale Vorgehen des Regimes von Präsident Assad, das bisher schon über 5000 Tote gefordert hat und immer noch täglich 20 bis 50 Leute der "Aufrechterhaltung der Stabilität" opfert, immer mehr in Richtung eines Bürgerkriegs. Dass Assad (wie die meisten Diktatoren der arabischen Welt) sein Regime als Bollwerk gegen den Islamismus zelebriert, ist schon ein bisschen abenteuerlich, wenn man weiß, dass seine engsten Verbündeten in der Region das iranische Regime und die libanesische Hisbollah sind. Aber sogar der Iran fordert jetzt ein Ende des Mordens, und auch Russland hat seine bedingungslose Unterstützung im Weltsicherheitsrat aufgegeben, obwohl es für Putin dort eine wichtige Marinebasis am Mittelmeer und einen guten Kunden für Waffenexporte zu verlieren gibt.
Die Lage im Land ist chaotisch. Erstens besteht der syrische Widerstand aus sehr unterschiedlichen Gruppen, die teilweise auch gegeneinander arbeiten: Neben bisherigen legalen und halblegalen Oppositionsgruppen, die früher im System einigermaßen mitgemacht haben, und Exilgruppen, die versuchen sowas wie eine Gegenregierung nach dem Vorbild z. B. des libyschen "nationalen Übergangsrats" zu gründen, gibt es junge Leute, die vor Ort lokale Räte organisieren, und dann einfach "die Straße". Nach 41 Jahren Diktatur haben sie Alle praktisch keine politische Kultur, keine Ahnung, wie sie sich organisieren können und wie sie mit Widersprüchen umgehen können. Mancherorts brechen auch religiöse Konflikte zwischen verschiedenen islamischen und christlichen Gruppierungen aus. Und dann ist auch völlig unklar, wie große Teile der Armee schon desertiert sind und wie viele Deserteure die Waffen mitgenommen haben und gegen die Regierung kämpfen (die Rede war mal von 15.000); dass an einem Tag 250 Deserteure erschossen werden, lässt die Größe des Problems ahnen, das der Herr Präsident da mit der Loyalität bekommt.
In Lindau beteiligten sich übrigens am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, knapp 70 Leute an einer Lichterkette gegen die Repression in Syrien. Dazu berichtete der Exil-Syrer Dr. Wahoud, der gerade von einer Reise nach Jordanien zurückkam, was ihm geflohene Landsleuten dort erzählt hatten.
Die nachhaltigsten Erfolge wurde bisher in Tunesien erreicht, wo die alte Elite die Macht tatsächlich abgeben musste und eine verfassungsgebende Versammlung gewählt wurde; aber auch dort bleibt es ein ständiger Kampf mit den alten Seilschaften. Die "Gesundheitspartei", die kostenlose Gesundheitsversorgung für Alle wollte und damit bei der Wahl drittstärkste Kraft wurde, ist nachträglich von der Wahl ausgeschlossen worden, ihre Stimmen sind somit verloren. Teile der Wirtschaft, die mit dem alten Regime von Ben Ali verbandelt waren, haben einfach ihre Klitschen zugesperrt und hoffen, dass der demokratische Spuk bald vorbei ist. Und die Touris trauen sich immer noch nicht richtig zurück. Deshalb geht die Wirtschaftskrise weiter, und Viele sind arm und arbeitslos wie zuvor, eine gefährliche Lage für die junge Demokratie.
In Ägypten dagegen übernahm nach Mubaraks Abgang das Militär die Macht und behielt trotz formaler Demokratisierung die wesentlichen Fäden in der Hand. Dazu verwendete es immer wieder auch die alten Methoden bis hin zu Folter und Mord. Seit der Revolution sind 12.000 Leute vor Militärgerichten gelandet. Ein Blogger, der fand, dass ZivilistInnen da gar nicht hingehören, ist für diese Aussage im Knast gelandet, ein Anderer wurde zunächst zu drei Jahren verurteilt und, nachdem das Urteil aufgehoben wurde, einfach in die Psychiatrie gesteckt.
Einige Dinge gingen für die neuen sozialen Bewegungen auch einfach zu schnell. Eine mit heißer Nadel nach den Vorgaben des Militärs gestrickte Übergangsverfassung wurde dem Volk als alternativlos verkauft und kam so in einer Volksabstimmung durch, dann wurde ein Parlament gewählt, obwohl außer den "Muslimbrüdern" und den alten Mubarak-Seilschaften keine Partei für einen Wahlkampf ausreichend organisiert war; macht insofern nix, als das Militär diesem Parlament sowieso nicht allzuviel Macht zugesteht. Die Parlamentsmehrheit der Muslimbrüder kommt ihm da ganz gelegen, ebenso wie die gelegentlichen Konflikte mit der christlichen Minderheit (die offenbar des Öfteren auch vom Geheimdienst inszeniert oder wenigstens provoziert werden), denn so können sie die Legende aufrechterhalten, dass mehr Demokratie zu einer islamistischen Diktatur führen würde, wovon ja schon der olle Mubarak jahrzehntelang ganz gut gelebt hat.
Bei Protesten gab es in den letzten Monaten zahlreiche Tote vor Allem durch den Einsatz von besonders wirksamem Tränengas, allein in der Woche vor Weihnachten starben mindestens zehn Menschen. Dennoch hat sich gerade in den letzten Tagen gezeigt, dass sich das Militär nicht mehr alles erlauben kann. Die Behörden versuchten am 20.12. wieder mal, den Tahrir-Platz räumen zu lassen, was misslang, weil die Repression noch viel mehr Leute motivierte, ebenfalls auf den Platz zu kommen und zu demonstrieren; nach teils sexistischen Übergriffen auf Demonstrantinnen musste sich die Führung sogar öffentlich für das Verhalten ihrer Büttel entschuldigen. In Berlin gab es gleichzeitig eine Solikundgebung an der ägyptischen Botschaft.

Europa

Am 15. Mai schaffte diese Bewegung auch den Sprung nach Europa. In Spanien besetzten über 100.000 Leute, vor allem junge Arbeitslose, aus Protest gegen staatliche Sparmaßnahmen auf dem Rücken derer, die eh nichts haben, nach dem Vorbild des Tahrir-Platzes in Kairo zentrale Plätze in über 80 Städten. Gut 60 dieser Besetzungen konnten sich längere Zeit halten, teilweise durch Wiederbesetzungen nach Räumungen (die durch ihre Brutalität oft noch mobilisierend wirkten).
Mit den Platzbesetzungen soll ein sichtbarer Anlaufpunkt im öffentlichen Raum geschaffen werden, wo Menschen, die mit der Situation nicht mehr einverstanden sind, ihre Lage diskutieren können, um Andere zu finden, denen es ähnlich geht. Gemeinsam können sie dann Lösungen entwickeln oder wenigstens verstehen, was überhaupt abgeht. Kern der ganzen Sache ist also die "Asamblea", die Versammlung, auf der Alle gleichberechtigt miteinander reden können. Daraus ergeben sich dann Forderungen an irgendwelche Institutionen oder eigene Aktionsideen, und idealerweise kommen genug Menschen und Ideen zusammen, dass am Schluss die Regierung stürzt und nicht bloß durch eine andere ersetzt wird, die ein bisschen besser schwätzen kann.
Diese Idee wurde als nächstes in Griechenland aufgegriffen, wo es aufgrund der von der EU diktierten Sparmaßnahmen auch zahlreiche Demos mit Hunderttausenden von TeilnehmerInnen und ständig Generalstreiks gab. Zunächst wechselte der Ministerpräsident seinen Finanzminister aus und die konservative Opposition würde gern den Ministerpräsidenten auswechseln, während Opa Kostas eigentlich nichts davon verlangt hatte, sondern bloß, dass sie ihm seine Rente weiter zahlen. Die SchwäZ schrieb dazu in trauter Eintracht mit der Bild, Opa Kostas soll gefälligst das Maul halten und seine Pfründe aufgeben. Dass seine Rente, für die er über 40 Jahre lang gebuckelt hat, ein Pfrund ist, war ihm wegen deren bescheidener Höhe bisher nicht aufgefallen, aber wenn die das schreiben, wird's schon stimmen. Zum Finanzminister ernannte Papandreou dann den bisherigen Kriegsminister, und sein Vize verkündete: "Entweder Sparpaket oder Panzer auf der Straße!" Das Sparpaket wurde dann trotz eines 48-stündigen Generalstreiks und 80% Ablehnung in der Bevölkerung beschlossen und hat eigentlich bloß den Effekt, dass es die Konjunktur abwürgt. Außerdem beinhaltet es einen massiven Ausverkauf öffentlicher Güter von Staatsfirmen bis zu Stränden, also Privatisierungen, was nichts weiter bedeutet als dass Staat und Öffentlichkeit dafür künftig zahlen müssen, was das strukturelle Defizit nur weiter verschärft.
Es ist letztlich die Kehrseite der "Erfolgsgeschichte des Euros", denn die Exportüberschüsse, mit denen sich die deutsche Wirtschaft auch nach der letzten Krise wieder gesundgestoßen hat, müssen natürlich irgendwo anders ein Exportdefizit verursachen. Früher konnten das die Importländer abfedern, indem ihre Währungen gegenüber der DM abgewertet wurden; mit dem Euro geht das nicht mehr, jetzt erfolgt dieser Bilanzausgleich auf anderem Wege, nämlich buchstäblich durch einen Plünderungsfeldzug. Hinzu kommen hohe Zinssätze, weil die Staaten nicht mehr selber Geld nachdrucken können und deswegen pleite gehen können, wenn sie nicht genug neue Kredite bekommen. Denn dadurch kann auf ihre Pleite spekuliert werden, was im Fall Griechenlands die Zinsen zeitweise auf über 90% hochgetrieben hat (siehe Artikel "Krisentheorie").
Nach Verabschiedung des Sparpakets Ende Juni behaupteten verschiedene Medien, nun würden nur noch Anarchisten Krawall machen und Opa Kostas hätte es eingesehen, denn es gäbe keine realistische Alternative dazu und alle ernsthaften Parteien und sonstigen politischen Kräfte könnten es ja auch nicht anders machen. Das ist eigentlich fast die Wahrheit, man muss es nur logisch weiterdenken: Für die griechische Krise gibt es innerhalb des herrschenden Systems keine Lösung, die einzige Option ist der Systemwechsel. Und es kommt eigentlich nur drauf an, ob Opa Kostas das checkt. Vielleicht ist er ja inzwischen schon Anarchist.

Amerika

Am 17.9. schwappte die Bewegung über den großen Teich – eine Initiative namens "Occupy Wall Street" wollte das New Yorker Börsenzentrum in einen amerikanischen Tahrir-Platz verwandeln. Zunächst kamen nur maximal 1000 Leute, die von den Cops mühelos auf Distanz gehalten wurden; ein paar Dutzend von ihnen schlugen anschließend in einem nahegelegenen Park ein Camp auf. Trotz Polizeiübergriffen und sonstigen Schikanen weitete sich diese Aktion schnell auf die ganzen USA aus. Ihr Motto: "Wir sind 99%", im Sinne von: die herrschende Politik schützt nur noch die Interessen von 1% Superreichen, während der Rest der Bevölkerung durch die Krise Vermögen, soziale Sicherheit und demokratische Rechte verliert, besonders brutal zu sehen an den Häuserräumungen wegen der Immobilienkrise. Es entstanden über 100 Camps, und auf die Demos kamen Zehntausende. Im kalifornischen Oakland führte ein brutaler Polizeiübergriff auf einen arbeitslosen Irak-Veteranen bei einer Platzräumung zu einer Großdemo mit über 100.000 Leuten und zur wiederholten Lahmlegung des Pazifikhafens durch Streiks und Blockaden.
Bei Occupy Wall Street sprach auch der anarchistische Professor Noam Chomsky. Er war von der Bewegung ziemlich begeistert und ging sogar davon aus, dass es eher 99,9 als 99% sind, die in dem gegenwärtigen System nichts zu sagen haben. Das verbleibende Promille werde aber alles dafür tun, dass die Verhältnisse im Wesentlichen so bleiben wie sie sind – und ein Promille, das sind im Fall der USA immerhin 300.000 stinkreiche Leute, die bisher alle Fäden in der Hand haben. Es bedürfe also wohl noch einiger Ausdauer, bis sich wirklich was verändert.
Am 15.10. fand, inspiriert von dieser Bewegung, ein weltweiter antikapitalistischer Aktionstag statt, an dem sich bis zu einer Million Menschen beteiligten; alleine in Rom (wo's ziemlich abging) waren es 200.000, in Porto -zigtausende, in Deutschland 40.000 in über 50 Städten. Nun kam es auch hier vielerorts zu Platzbesetzungen, die sich mehr oder weniger lange halten konnten. In Deutschland hatte nach spanischem Vorbild bereits im Sommer in Köln ein Protestcamp mit knapp 20 Leuten gegeben, das sich eine Zeitlang auf dem Rudolfplatz halten konnte, jedoch öfters Probleme mit Cops und Faschoüberfällen hatte. Die Besetzungen seit Oktober sind ein bisschen mehr und größer, allerdings auch nicht gerade Zentren revolutionärer Dynamik. Immerhin gab es sogar in Ravensburg einige Aktionen dieser Bewegung für "Echte Demokratie jetzt". Am 15.10. hieß das Motto "Occupy Marienplatz", es wurde aber nur eine Demo mit 100-200 Leuten mit anschließender Diskussionsrunde draus; am 11.11. war nochmal eine Aktion angesagt, von der wir leider keine Rückmeldung erhalten haben.
Die Occupy-Bewegung in den USA geht nach diversen Platzräumungen zum Gegenangriff über. An verschiedenen Orten wurden Häuser besetzt. Teils geht es einfach um wärmere Treffs als die Straße, teils werden so obdachlose Familien untergebracht, teils holen sich Leute ihre eigenen, von den Banken enteigneten Hütten zurück, die seit dem Immobiliencrash vor über drei Jahren leerstehen. Und in Atlanta wurde die Zwangsversteigerung von zwölf Wohnungen durch eine Lärmdemo mit Schellen und Sirenen so gestört, dass sie abgebrochen werden musste. Am 12.12. wurden außerdem im kalifornischen Oakland und im kanadischen Vancouver die Häfen von über Tausend AktivistInnen blockiert.
In Deutschland ist man da bescheidener, kleine Gruppen halten dennoch in Städten wie Berlin, Düsseldorf und Hamburg die Stellung. In Berlin wurde jetzt allerdings der Platz am Bundespressestrand doch gekündigt, der Umzug in ein leerstehendes Bundesgebäude wurde bei Redaktionsschluss als Option genannt.
Inspiriert von der Occupy-Bewegung tut sich auch in Zypern was. Unter dem Motto "Occupy the Border" haben AktivistInnen aus dem griechischen und dem türkischen Teil der geteilten Insel mitten in der verbotenen Zone zwischen den Grenzposten in der ebenfalls geteilten Hauptstadt Nikosia ein No-Border-Camp aufgeschlagen. Am 24.12. wollen sie eine "Winter Street Parade" durchführen, um internationale Solidarität wird gebeten.

Demokratie und Krise

Die Forderungen sind nicht besonders radikal, es sind halt die Klassiker von der radikalen Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich über Mindestlohn und Vermögenssteuer bis zum Rentenalter 65, außerdem sind die PlatzbesetzerInnen gegen Privatisierungen und für die "Vergesellschaftung" der Banken. Die radikale Linke duckt sich mehr oder weniger weg, vergrault von ein paar schrägen Vögeln, die mit ihren Verschwörungstheorien (mit und ohne Juden) den Diskurs dominieren; aber eigentlich solltet Ihr denen nicht das Feld überlassen, sondern die Gelegenheit nutzen, aktiv eigene Inhalte reinzubringen.
Inzwischen werden die Auswirkungen der Eurokrise auf die Demokratie immer deutlicher. In zwei EU-Staaten ist Anfang November die Demokratie aufgehoben worden: Griechenland wird jetzt durch Ex-Notenbankchef Papademos regiert (mit einer All-Parteien-Regierung, in der auch die bisher isolierte neofaschistische Laos-Partei vier Ministerposten bekommen hat) und Italien durch Ex-EU-Kommissar Monti. Nicht dass irgendjemand dem Berlusconi hinterherweinen würde, seinen Abgang begleiteten "Mafioso!"-Rufe und ein spontaner Halleluja-Chor, und er selber hängt auch nicht mehr so an seinem Amt, nachdem ihm der Knast zumindest in Italien nicht mehr droht (dort kann man aus humanitären Gründen nicht mehr eingesperrt werden, wenn man mal 75 ist). Aber immerhin war der Kerl demokratisch gewählt, im Gegensatz zu seinem Nachfolger! Der Aufschrei hielt sich anfangs in Grenzen, obwohl hier die EZB schnell mal eben zwei Länder unter Zwangsverwaltung stellt, und wahrscheinlich bleibt es nicht bei zwei Ländern.
An die Macht kommen mit diesem unblutigen Putsch sogenannte Technokraten, die sich selbst als Exekutoren des alternativlosen Unabänderlichen verstehen – sprich ideologisch gefestigte neoliberale Betonköpfe. In Italien zeigt "Fachmann" Mario Monti gerade, wie das mit dem Sanieren funktioniert: Er will den Kündigungsschutz so radikal lockern, dass Italien jetzt plötzlich eine Arbeitslosenversicherung braucht. Das Geld dafür auftreiben will er – über Stellenstreichungen im Staatsapparat. Bingo.
Ähnliche Granaten geben jetzt in Spanien den Ton an, auch wenn dort der Regierungswechsel wenigstens noch über eine Wahl erfolgt ist. Zum Wirtschaftsminister wurde der ehemalige Spanien-Chef von Lehman Brothers ernannt. Von den Banken lernen heißt siegen lernen!
Auch in Portugal betrachten viele Menschen die Demokratie bereits als abgeschafft, denn das Parlament hat in Finanzfragen kaum noch Einfluss – fast alle Entscheidungen werden von der Troika aus Weltbank, Währungsfonds und EU vorgegeben.
Man muss sich mal klarmachen, dass der Neoliberalismus nicht vom Himmel gefallen ist. Der Bundestag z. B. hat über hundert Einzelbeschlüsse zur Deregulierung der Finanzmärkte gefasst. Dass man sie eigentlich eher regulieren müsste, ist seit der Finanzkrise theoretisch allen klar, aber irgendwie geschieht da nicht viel.

Die Revolutionsqualitätskontrolle

Krisentheorie

Die "Pleite" Griechenlands ist ein relativer Begriff. Praktisch alle Staaten haben einen Haufen Schulden und machen jedes Jahr mehr davon, ohne dass die Aussicht besteht, dass sich daran mal was ändern könnte; bei Privatpersonen und Unternehmen würde man das "pleite" nennen, denn dann stellt sich für die Bank eigentlich nur die Frage, ob sie noch versucht, ein bisschen was einzutreiben, oder gleich den Hahn zudreht und die Sicherheiten einzieht.
Bei Staaten ist das nicht so einfach, weil man die ja nicht so einfach liquidieren kann wie ein Unternehmen. Alle Werte für eine "zulässige" Staatsverschuldung sind ziemlich willkürlich und es ist auch nicht so, dass die Staaten, bei denen die verbreitete Kenngröße "Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt" am höchsten ist, am schlechtesten dastehen. Japan hat nach diesem Index 200% Schulden, Griechenland nur 150%. Der Unterschied ist allerdings, dass auf Griechenlands Pleite spekuliert wird, und so kommt es, dass Griechenland für zweijährige Staatsanleihen heuer zeitweilig über 90% Zinsen zahlen musste, Japan dagegen nur 0,2%. So treiben die Zinszahlungen trotz aller Sparbemühungen (für die die Bevölkerung bluten muss) die griechischen Staatsausgaben weiter in die Höhe, denn wenn die Zinsen nicht gezahlt würden, dann müssten ja die Banken bluten, und das geht schon mal gar nicht. Bei einem "anständigen" Zinssatz von z. B. 3% würde der griechische Staatshaushalt wegen der Ausgabenkürzungen momentan fette Überschüsse machen! Diese Kürzungen würgen zwar gerade auch die griechische Konjunktur ab, wodurch dann auch wieder die Einnahmen sinken, aber das ist nochmal ein anderes Thema.
Auch noch eine interessante Frage ist, wieso die Staaten überhaupt Geld am Markt aufnehmen und es sich nicht direkt von den Zentralbanken leihen. Die EZB versorgt die Banken zu einem Minimalzinssatz von unter 1% mit Geld, das die dann weiterverleihen – unter anderem an die Staaten. Die Gewinnspanne dazwischen ist eigentlich nix weiter als eine staatliche Subvention für den Finanzsektor. Im Fall von Griechenland zur Zeit richtig fett, aber auch Deutschland zahlt auf diese Weise jährlich 25 Milliarden drauf. Gut hat's in diesem Fall ausgerechnet Irland, das in der Finanzkrise viele Banken verstaatlichen musste – das leiht sich jetzt über diese Banken selber Geld, nominal zwar auch zu einem höheren Zinssatz, aber die Zinsgewinne gehen ja an die Bank und damit wieder an den Staat selber, so dass Irland für seine Staatskredite im Endeffekt gerade mal 1,25% Zinsen zahlt. Deswegen kann es Irland auch relativ wurscht sein, dass seine Kreditwürdigkeit sonstwohin herabgestuft worden ist – selbst wenn niemand sonst dem Staat so billig Geld leihen will, sich selber gibt der Staat natürlich weiterhin Kredit.
Das Ganze ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Regeln des kapitalistischen Systems sind, wie sie sind, weil die, die davon profitieren, auch die Macht haben, die Regeln zu ihren Gunsten zu manipulieren und Änderungen, bei denen sie was abgeben müssten, zu verhindern. Und das ist eigentlich der Grundfehler, denn so wird die Schieflage des Systems immer noch krasser, so abgedroschen wie es klingt: Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Deswegen sollte Euch die Möglichkeit, den Fehler mit den Zinsen zu korrigieren und das System so nochmal zu retten, nicht davon abhalten, den Kapitalismus als Ganzes abzulehnen und letztlich zu überwinden, denn dieser Grundfehler bleibt Euch erhalten, solange das System besteht, egal was an der Oberfläche korrigiert wird, um es weiter am Laufen zu halten.
In Pula (Kroatien) wurde am 13.11. ein alternatives Welt-Währungs-System gegründet, das Märkte und Menschen befreien will. Es verbindet regionale Tausch- und Alternativwährungen. Ein netter Ansatz, allerdings überwindet er nicht das Grundprinzip des Kapitalismus, das Tauschprinzip (Geld gegen Ware/Leistung). Denn eigentlich wären wir von den Produktionsmitteln her ja schon so weit, dass wir das hinter uns lassen könnten – wir können jetzt schon viel mehr herstellen, als wir überhaupt (ver)brauchen.
Immer größere Anteile der Arbeitskraft stecken nur noch in unproduktiven oder sogar destruktiven Tätigkeiten, die im wesentlichen darin bestehen, das Tauschprinzip durch Abrechnung, Kontrolle, Preisverhandlungen, die Verhinderung "unberechtigter" Aneignung etc. aufrechtzuerhalten, vom völlig nutzlosen Spekulationsgeschäft ganz zu schweigen. Man muss sich mal klarmachen, dass z. B. ein Kopierschutz nichts weiter als die Zerstörung von Produktivität ist – man könnte eine Ware x-fach haben, kriegt sie aber nur einmal. Im Internet werden unglaubliche Mengen von Kreativität und Hirnschmalz nur für die Aufrechterhaltung solcher Zugangssperren verschwendet. Wenn man nichts dagegen machen würde, könnten alle Menschen weltweit alle Ideen, Patente, Programme usw. nutzen, die irgendjemand irgendwo ins Netz gestellt hat – stattdessen werden die Allermeisten von ihnen mit viel Aufwand ferngehalten und nur wenige zahlende Auserwählte bekommen darauf Zugriff!
Die Reibungsverluste des Systems werden also immer größer, weil es den Produktionsmitteln nicht mehr entspricht und unser Wirtschaften mit Gewalt in eine Form gebracht werden muss, die sich diesem Tauschprinzip noch irgendwie unterordnen lässt. Wenn wir da keine Energie mehr reinstecken müssten, könnten wir Alle nehmen, soviel wir wollen, und bräuchten nur noch arbeiten, soviel wir Lust haben. Und über Finanzkrisen bräuchten wir uns schon gar keinen Schädel mehr machen. Das wäre dann mal ein wirklicher Fortschritt für die Menschheit. Der Übergang zu so einem System erscheint wegen seiner Andersartigkeit erst mal völlig unmöglich, und 0,1% der Menschheit werden ihn sicher so lange wie möglich zu verhindern suchen. Aber allein die Tatsache, das es mittlerweile nicht nur wünschenswert ist, sondern auch funktionieren kann, wenn es erst einmal so läuft, lässt doch hoffen, dass es eben in absehbarer Zeit doch so kommt.

Die Buchhaltung

Platz nehmen

Freiräume waren heuer wieder ein heißes Eisen. Am 2.2. wurde die Liebig 14 in Berlin geräumt, es krachte ziemlich und ist auch noch nicht fertig. Irgendwie war das Ding nach der Sanierung dann schwer zu vermieten... Im Laufe des Jahres begannen die Prozesse gegen die BewohnerInnen. Dabei stellte sich dann heraus, dass der Räumungsbefehl gar nicht gültig war, weil er sich nicht gegen die tatsächlichen BewohnerInnen richtete, sondern gegen die offiziellen MieterInnen, und dass Erstere sich deswegen rechtmäßig im Haus aufhielten. Drum gab es für eine im Haus aufgegriffene Person am 2.11. gleich mal einen Freispruch.
Das AZ Köln-Kalk wurde vorerst gerettet. Ende März waren schon zahlreiche AngreiferInnen und VerteidigerInnen aufgelaufen, ehe in letzter Minute doch noch ein Mietvertrag (null Euro plus Nebenkosten) unterzeichnet werden konnte.
Im September wurde dann das seit 13 Jahren besetzte soziale Zentrum Kukutza III Gaztetxea in Bilbao trotz massiver Proteste von AnwohnerInnen und zahlreichen internationalen AktivistInnen geräumt und kurz danach abgerissen. Vorher wie nachher gab es zahlreiche Soliaktionen, in Bilbao selbst herrschten teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände, beim Abriss wurde dem ganzen Viertel der Strom abgeschaltet, die Polizei verhängte praktisch eine Ausgangssperre und stürmte Wohnungen. Solidarische Nachbarn ärgerten dann erst mal die Baufirma mit Anzeigen, weil die sich nicht an die Auflagen hält, Schäden an ihren Häusern verursacht hat und den Schutt nicht trennt. Natürlich wird weiter für ein Ersatzobjekt gekämpft.
Am 30.8. wurde auch das soziale Zentrum "Satama" in Helsinki und die dazugehörige Roma-Wagenburg geräumt, das Haus soll abgerissen werden. Die Roma sollen auf einen Campingplatz ziehen (was sie sich aber nicht leisten können). Satama war zwei Jahre lang besetzt.
In Freiburg fand ein Aktionsmonat zur Rettung des seit zwei Jahren besetzten M1-Wagenplatzes (Kommando Rhino) auf dem Vauban-Gelände statt, weil dessen Räumung für Anfang August angekündigt war. Über 500 Leute kamen am 23.7. auf die Rhino-Demo. In der Nacht auf den 3.8. brannten auf der Merzhauser Straße vor dem Gelände Barrikaden und ein Bagger. Am Morgen wurde dann geräumt; es gelang, einige Wägen zu retten, andere wurden abgeschleppt, und bis zum Abend war das Gelände platt. Der Platz im Inneren des Vauban-Geländes, wohin sich die Entkommenen zurückzogen, wurde im Laufe des Abends ebenfalls von der Polizei bedroht, letztlich aber in Ruhe gelassen. In Lübeck demonstrierten 60 solidarische Menschen.
In der folgenden Nacht kam es dann zu einem Polizeiangriff auf das Autonome Zentrum KTS, wo 60 Cops durch einen aufgebrochenen Noteingang ins Café eindrangen und im Umfeld mehrere Leute abgriffen; auch nachdem sie wieder rausgeschickt wurden, stressten sie draußen noch die ganze Nacht rum
Die Wagenburg an der Oder in Breslau (Polen) befindet sich weiterhin auf ihrem alten Gelände, auch wenn mittlerweile fast alle Gebäude des ehemaligen Campingplatzes Sleza abgerissen sind. Es hatte sich herausgestellt, dass die Baufirma nur eine Abrissgenehmigung hat, aber keine Baugenehmigung, so dass die Arbeiten seit Monaten unterbrochen sind.
Für die Wagenburg Dale Farm in Ostengland begann am 19.10. nach Ausschöpfung der letzten Rechtsmittel die Räumung des Geländes (einen Monat später als geplant). Weil sich einige BewohnerInnen und UnterstützerInnen angekettet, einbetoniert oder auf Tripods verschanzt hatten, dauerte das eine Weile, obwohl die Cops von Äxten bis zu Tasern (Elektroschock-Harpunen) fast das ganze Waffenarsenal einsetzten und eine ziemliche Gewaltbereitschaft an den Tag legten. Erst am Nachmittag des 20. waren sie so weit, dass sie schwere Räumfahrzeuge überhaupt auf das Gelände bringen konnten. Die VerteidigerInnen wollten daraufhin aufgeben, wurden aber vorerst von einem Gerichtsvollzieher demotiviert, der Platzverweise verteilte und natürlich entsprechend gedisst werden musste, so dass sie das Gelände, auf dem die Überreste ihrer Behausungen brannten, erst am Abend verließen. Fortsetzung folgt, 50 obdachlose Familien müssen ja jetzt irgendwo hin; viele von ihnen sind bei Bekannten auf der anderen Hälfte des Geländes untergekommen, für die eine Nutzungsgenehmigung besteht, aber das ist natürlich nur eine Übergangslösung. Die Schaffung dieses Problems ließ sich der Staat übrigens mindestens 18 Millionen Pfund kosten.
In Barcelona wurde im Oktober ein Schloss besetzt, das Castillo in Les Planes, das (bis auf eine kurze Besetzung vor elf Jahren) schon seit 100 Jahren durchgehend leer steht. Im Moment hält die Besetzung noch, aber am 24.1. gibt's einen Prozess um das Nutzungsrecht.
Nach der Räumung seines Ateliers im Berliner Tacheles am 7.12. ist der weißrussische Exil-Künstler Ales Rodin gemeinsam mit einem Freund in den Hungerstreik getreten. 50 Wachleute der HSH Nordbank hatten ihn rausgeschmissen und ihm nicht mal erlaubt, seine persönlichen Sachen und seine Bilder mitzunehmen.
Die Berliner Wagengruppe Rummelplatz musste am 8.12. den seit einer guten Woche besetzten Platz in Lichtenberg wieder aufgeben; sie entkam knapp vor Ankunft eines polizeilichen Räumkommandos und parkte stattdessen in einem Gewerbegebiet am Straßenrand, wo's allerdings auch schon wieder Ärger gibt. Der Senat verweigert bislang Verhandlungen.
Am 10.12. gab es im Warschauer Bezirk Praga eine Demo gegen Brandanschläge, mit denen offenbar SpekulantInnen ihre Gentrifizierungsprojekte durchsetzen wollen. Die Polizei hat bestätigt, dass alle Brände gelegt worden waren, macht aber nix zur Verhinderung weiterer Anschläge. Und den Mord an der 64-jährigen Mieteraktivistin Jolanta Brzeska, deren verbrannte Leiche im März aufgefunden wurde, hat sie auch noch nicht aufgeklärt.
"Gegen kapitalistische Stadtentwicklung und Gentrifizierung" gab es am 17.12. einen Aktionstag, der von UnterstützerInnen der räumungsbedrohten Roten Flora in Hamburg ausgerufen wurde. In Hamburg wurden zunächst Leerstände markiert und ein Park, der künftig 20 Euro eintritt kosten soll, entzäunt. Dann gab es Radioballett, topfschlagende Kleingruppen und Kundgebungen; insgesamt beteiligten sich ca. 1000 Leute. In Frankfurt demonstrierten 500 Leute, in Berlin 20 Bauwägen und in Wien 40 Fahrräder. In Köln und Zürich soll auch noch was gewesen sein.
In Augsburg gab's eine lustige Punkparty mit 30 Leuten in der Straßenbahn (plus spontane Beteiligung von Mitreisenden) mit Musik, Getränken, Spielen und ganz vielen Luftballons, die mehrere Linien rauf- und runterfuhr. Der Spruch des Abends kam allerdings von der Polizei bei einem Getränkeversorgungs-Zwischenstopp an der Halte vor dem Supermarkt (wo aus unverständlichen Gründen 30 Hausverbote ausgesprochen wurden): "Hier ist jetzt Schluss, Sie steigen jetzt alle in diese Straßenbahn ein!" Jawoll Herr Wachtmeister!

AK Bauen & Besetzen

Reisefreiheit

Innenminister mehrerer EU-Staaten am und im Mittelmeer trafen sich am 19.4. in Nikosia auf Zypern und veröffentlichten eine Erklärung. Sie betonten ihre humanitäre Tradition, den Schutz schutzbedürftiger Personen, die Genfer Flüchtlingskonvention, die Achtung der Menschenrechte, ihr Mitleid mit den armen Schweinen in Libyen und dass die EU aber ihre Sicherheit und Stabilität an der Mittelmeerfront gemeinsam gegen die aktuellen massiven illegalen Wanderungsbewegungen und die dadurch entstehenden sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Lasten sowie den damit verbundenen zusätzlichen Verwaltungsaufwand verteidigen muss und deswegen alle verfügbaren Kräfte dafür zu mobilisieren hat, dieses ganze Gschwerl draußen zu halten. Im Geiste echter Partnerschaft mit den Nachbarstaaten südlich des Mittelmeers sollten die frisch befreiten Länder, ganz besonders Tunesien, aber ganz zackig die Migration unter Kontrolle bringen, Rückübernahmeabkommen unterschreiben und mit Frontex zusammenarbeiten, so wie das die bösen Diktatoren vor ein paar Wochen doch auch brav gemacht haben.
Der libysche Nationale Übergangsrat ließ sich da nicht lang bitten und unterschrieb schon am 17.6. (was war das doch gleich noch für ein Jahrestag?); in Libyen haben MigrantInnen aus dem Süden zur Zeit sowieso schlechte Karten, denn die Aufständischen verdächtigen Schwarze pauschal als Gaddhafi-SöldnerInnen und haben schon wieder Tausende willkürlich in Internierungslager gesteckt. Etwas zurückhaltender war die Übergangsregierung in Tunesien, die unterschrieb zwar auch, legte aber wenigstens ein paar zahlenmäßige Begrenzungen für die Rückführungen fest.
Nach diversen Einzelaktionen setzten letzten Winter in Griechenland 300 MigrantInnen mit einem kollektiven Hungerstreik durch, dass sie Aufenthaltserlaubnisse bekamen. Außerdem erstritten sie einige Verbesserungen im Aufenthaltsrecht und sogar eine Änderung im Arbeitsrecht, von der auch die GriechInnen profitieren. Ansonsten waren MigrantInnen ohne Papiere dort aber auch heuer extremer Verfolgung ausgesetzt, dazu kam noch eine Reihe von Naziübergriffen. In Igoumenitsa und Patras wurden wilde Camps von Flüchtlingen, die versuchen, auf eine Fähre nach Italien zu kommen, von der Polizei mit Großrazzien geräumt und zerstört. An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei wurde außerdem Ende August ein Migrant von Frontex-Beamten erschossen, als sie mit Gewehrfeuer Schlauchboote versenkten, mit denen Flüchtlinge versuchten, über den Grenzfluss Evros zu gelangen. Dort wird auch weiter an der Mauer um die Festung Europa gebaut, genauer gesagt an einem 120 Kilometer langen, 30 Meter breiten und sieben Meter tiefen "Panzersperrgraben" an der türkischen Grenze. Wie wahrscheinlich ein Panzerangriff durch Nato-Partner Türkei ist, wurde nicht mitgeteilt, aber für Flüchtlinge dürfte das Ding ziemlich lästig sein. Und demnächst soll mit dem Bau eines Zaunes begonnen werden.
Ende August fand im Dreiländereck Bulgarien-Türkei-Griechenland ein Grenzcamp statt. Bulgarien strebert gerade ganz fleißig für den Schengen-Beitritt, verschärft die Grenzkontrollen zur Türkei und baut mehrere Abschiebeknäste. Das Camp erreichte trotz Hetzpropaganda überregionaler Medien in der örtlichen Bevölkerung ein sehr positives Echo. Es gab öffentliche Filmvorführungen, Demos, Infoveranstaltungen, Aktionen an den Grenzen, Workshops und Partys.
In Neuss fand am 3.12. wieder die alljährliche Demo gegen den Frauenabschiebeknast statt – wohl zum letzten Mal, der Laden ist seit dem 15.11. dicht und die verbliebenen Häftlinge wurden in die JVA Büren verlegt. Der Kampf "gegen das menschenverachtende Regime europäischer Migrationskontrolle sowie den rassistischen und sexistischen Normalzustand" geht natürlich trotzdem weiter. Statt zum Knast ging die Demo diesmal zum Weihnachtsmarkt.
Alabama überdenkt seine radikalen Einwanderungsgesetze, die erst im September in Kraft getreten sind. Grund ist ein deutscher Mercedes-Manager, der wegen einer Unregelmäßigkeit an seinem Mietwagen in eine Verkehrskontrolle geriet. Laut Gesetz muss der "Einwanderungsstatus" von AusländerInnen auch bei Routine-Verkehrskontrollen geprüft werden, der Mann hatte nur einen Perso dabei und landete im Knast. Die PolitikerInnen, die dieses Gesetz kürzlich erlassen hatten, waren sichtlich schockiert, dass sowas auch einen Weißen treffen kann; sie hatten eigentlich eher an schwarze oder südamerikanische AusländerInnen gedacht. Und nun ist es auch noch schlecht fürs Geschäft. Jetzt fordern sogar die Republikaner, dass das Gesetz "überarbeitet" wird.
Eine andere tendenziell eher konservative Gruppe, die in anderen Ländern gegen allzu rigide Ausländergesetze sind, hat in Alabama aber kein Problem damit: die LandwirtInnen. Denen sind zwar wegen des Gesetzes die preisgünstigen illegalen ErntehelferInnen scharenweise davongelaufen, aber sie haben schon eine Lösung vorgeschlagen: Der Staat könnte ihnen doch einfach Häftlinge als Billigsklaven schicken.

AK Flucht & Migration

Flucht unmöglich

50 Leute protestierten am 8.12. in Berlin gegen den Bau eines Flüchtlingsknastes im Transitbereich des neuen Großflughafens in Schönefeld, wo Asyl-Schnellverfahren durchgeführt werden sollen. Bei diesen Schnellverfahren geht es darum, möglichst schnell einen Vorwand zu finden, warum ein Asylantrag "offensichtlich unbegründet" ist, und die Leute dann gleich wieder abzuschieben. Der Knast befindet sich im internationalen Bereich des Flughafens, die InsassInnen sind also formal noch gar nicht eingereist und der Staat meint da ihre Rechte auch auf eine Art Duty-Free-Niveau reduzieren zu dürfen. Beim Senat wurde ein Brief an Wowereit abgegeben, das Land redet sich allerdings weiterhin drauf raus, es würde bloß den Flughafen bauen und betreiben, aber der Knast sei eine Bundesangelegenheit.
Opfer eines zu schnellen Verfahrens war auch der äthiopische Flüchtling Kenesa Yadetta Guluma, dessen Asylantrag abgelehnt wurde; er war zwar in Äthiopien nachweislich Opfer politischer Verfolgung geworden, hatte das aber bei den Anhörungen gar nicht komplett schildern können. Dank der Unterstützung eines Pfarrers und mit 4000 Unterschriften einer Online-Petition hob der Petitionsausschuss des bayrischen Landtags die Abschiebedrohung auf, die Sache soll per Asylfolgeantrag geklärt werden.
Eine solche Unterstützung ist aber noch keine Garantie für einen Erfolg: der junge Somalier, dem durch ein sechswöchiges Kirchenasyl in Beverstedt der Zugang zum Asylverfahren ermöglicht wurde, befürchtet jetzt eine Ablehnung und danach die Abschiebung nach Somalia.
50 v. a. syrische Flüchtlinge haben am 3.12. in Heraklion auf Kreta einen Hungerstreik begonnen. Sie werden auf der Polizeiwache von Alikarnassos festgehalten und protestieren gegen die Haftbedingungen.
In Wiesbaden demonstrierten am 3.12. 230 Leute gegen die Innenministerkonferenz. Das Polizeiaufgebot verdeutlichte das Anliegen sehr plakativ. Bei der Gegenkonferenz wurde von "Jugend ohne Grenzen", einer Organisation Jugendlicher, die mit Duldung in Deutschland leben, der bayrische Innenminister Hermann zum Abschiebeminister des Jahres gewählt, u. a. wegen seiner Bemühungen um Abschiebungen in den Irak und der Situation in den bayrischen Flüchtlingsunterkünften.
In Berlin ist ein schwer traumatisierter kurdischer Flüchtling 2006 wegen eines türkischen Auslieferungsantrags (genauer gesagt, einer formlosen Anfrage per E-Mail) festgenommen und im Keller der Krankenabteilung vier Tage lang an eine Pritsche gefesselt worden. Der Berliner Verfassungsgerichtshof fand die Fesselung jetzt aber doch rechtswidrig. Weitere Beschwerden gegen die ganze Aktion laufen noch.
Mindestens 50 Roma aus dem gesamten Bundesgebiet sollten mit einem Frontex-Flug am 7.12. von Düsseldorf aus ins Kosov@ abgeschoben werden. Öffentlicher Druck sorgte zumindest in NRW dafür, dass 20 Leute wieder von der Liste gestrichen wurden. Gegen die Abschiebung der 30 Übrigen protestierten am Flughafen 80 Leute. Weil diesmal sogar das Fernsehen kam, war die Polizei ein bisschen freundlicher als sonst und machte wegen zweier blockierter Einfahrten einen größeren Umweg, um in den Flughafen zu kommen. Am selben Tag demonstrierten auch in Leipzig 70 Leute gegen Abschiebungen und Diskriminierung von Roma. Die deutsche Regierung hat mit der kosovarischen ein Abkommen, wonach bis 2013 10.000 Roma dorthin abgeschoben werden sollen – muss ja nicht klappen.
In Tel Aviv gab es am 9.12. eine Demo für die Menschenrechte von MigrantInnen, an der sich viele Flüchtlinge ohne Papiere beteiligten. Die Regierung erklärte, von solchen Problemen nichts gewusst zu haben, und schlug als Lösung den Bau von weiteren Abschiebeknästen vor.
In Berlin demonstrierten am 10.12., dem internationalen Menschenrechtstag, 500 Leute gegen den Abschiebeknast Grünau und die Abschiebeknastbaustelle Schönefeld. Am selben Tag gab es in Velbert eine Protestaktion gegen die Situation in den Asylunterkünften, wo den Menschen pro Nase vier Quadratmeter Platz zustehen. Der Einfachheit halber wollten die AktivistInnen zur Veranschaulichung so ein Unterkunftszimmer in der Fußgängerzone in Originalgröße nachbauen, was jedoch von der Stadtverwaltung "wegen Platzmangel" untersagt wurde. Eine Protestkundgebung wurde dann auf Anordnung des Velberter Verfassungsgerichts, bestehend aus Sparkasse und dem Modeladen S. Oliver, aus der Innenstadt verbannt. Menschenrechte sind halt schlecht fürs Geschäft. Am Donnerstag drauf gab's nochmal eine Demo vom Flüchtlingsheim zum Sozialamt. Es beteiligten sich nur knapp 30 Leute, da die Polizei schon vor Beginn massiv Präsenz zeigte und so offensichtlich viele Flüchtlinge von einer Teilnahme abschreckte. Außerdem prollten am Rande der Demo jede Menge RassistInnen rum.
Am 17. demonstrierten in Bremen 200 Leute gegen Rassismus. Am 18.12. war dann wieder der jährliche internationale MigrantInnen-Aktionstag. Im belgischen Steenokkerzeel war eine Demo gegen den neuen Flüchtlingsknast "Le Caricole" geplant, der demnächst in Betrieb gehen soll (auch wenn ständig auf der Baustelle irgendwas sabotiert wird). Er löst ein 23-jähriges Provisorium ab, das "127bis", das Belgien eine ganze Serie von Verurteilungen wegen Menschenrechtsverletzungen eingebracht hatte. In dem 10 Millionen Euro teuren Bau gibt's jetzt auch "Möglichkeiten, die schwierigen Fälle zu isolieren". Die Polizei stoppte jedoch die Demo weit vor dem Knast und nahm Leute fest, weil die "ultragewalttätige Organisation No Border" daran beteiligt sei und die Demo außerdem den Luftverkehr stören würde. Na gut, können sie haben. Statt der Demo überfielen nach Bekanntwerden der Verhaftungen 100 Vermummte das Brüsseler Ausländeramt, schlugen Scheiben ein, warfen Rauchbomben rein und beschrifteten die Wände.
Wände beschriftet wurden zum Aktionstag auch in Sofia, genauer gesagt wurden hauptsächlich Nazisymbole übermalt. Außerdem gab es Transpi-Aktionen u. a. am Innenministerium.
In Holland ging's etwas chilliger zu, die 700 Flüchtlinge auf den Knastschiffen in Zaandam bei Amsterdam bekamen Besuch. AktivistInnen auf sieben Booten hatten sich auf den Weg gemacht, drei davon kamen an der Wasserpolizei vorbei und auf einem davon spielte dann eine Band für die Inhaftierten, die sich ziemlich begeistert zeigten. Zwei der drei erfolgreichen Boote bekamen jeweils 420€ Bußgeld aufgebrummt (Widerspruch läuft). Das ganze war quasi eine Übung für die Solidaritätsflotte "Boats for people", die nächstes Frühjahr von Italien nach Tunesien segeln soll.
In Wien gab es eine Straßenparty mit Kultur und Politik vor einem Flüchtlingsheim und Proteste gegen eine Art Familien-Abschiebeknast, mit anschließendem Workshop zur Selbstorganisation von Flüchtlingen, der von einem Betroffenen aus Biberach gestaltet wurde. Und in Tunesien protestierten an diesem Tag an die 200 Familien von verschollenen Bootsflüchtlingen. Viele sind offensichtlich nicht auf dem Meer verschwunden, sondern anschließend in italienischen Knästen. Ihre Angehörigen forderten jetzt Aufklärung.

AK Flucht & Migration

Nazistress

In Dresden ist am 19.2. wieder mal ein Naziaufmarsch an entschlossener Gegenwehr gescheitert. Während der Nazi an sich nicht als terroristische Vereinigung zu betrachten ist, betrachtet die Polizei Antifaschismus zumindest als kriminelle Vereinigung und versucht, die Beteiligung an den Gegenaktionen zu ahnden. Dazu hat sie eine extreme Ladung Handydaten eingesammelt, nämlich quasi alles, was zwei Tage lang in ganz Dresden so verfügbar war, also über eine Million Verbindungsdaten, größtenteils natürlich von vollkommen unbeteiligten EinwohnerInnen. Das Ganze gab einen ziemlichen Skandal, als es im Juni bekannt wurde, nichtsdestotrotz wurden auch danach noch 14.000 weitere Datensätze abgefragt. Insgesamt sollen mit dieser Maßnahme exakt 23 Straftaten aufgeklärt werden; der Datenschutzbeauftragte ist ein bisschen am Kotzen.
Falls Ihr deswegen Euer Handy gern mal ausschaltet, weist die Antirepressionsgruppe noch darauf hin, dass ein Handy sich beim Ausschalten extra abmeldet und diese Abmeldung eine interessante Info für ErmittlerInnen sein kann. Also entweder eingeschaltet zu Hause liegen lassen oder wenigstens frühzeitig woanders ausmachen. Im Notfall könnt Ihr auch einfach den Akku rausnehmen, ohne vorher auszuschalten, damit sabotiert Ihr wenigstens die Abmeldung und produziert nicht so eine punktgenaue Info à la "Hallo, ich war genau um diese Zeit genau hier und hab dann das Handy ausgemacht, weil ich irgendwas Verbotenes tun wollte!"
Im Zusammenhang mit der Blockade gab es Ende September und Mitte Oktober Hausdurchsuchungen in Stuttgart und Berlin, angeblich wegen DNA-Spuren an "geworfenen Steinen". Im Dezember wurde in Dresden ein Gegendemonstrant wegen eines Steinwurfs zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt, ein Anderer soll fürs Blockieren 300 Euro zahlen (die Staatsanwaltschaft wollte bloß 150, aber der Richter ereiferte sich sehr für die "Versammlungsfreiheit" einer "schützenswerten Minderheit"). Außerdem von der Repression betroffen ist der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König, der einen Lauti gefahren hatte. Am 10.8. gab es bei ihm eine Hausdurchsuchung, und Anfang Dezember wurde Anklage gegen ihn erhoben, weil sich der verurteilte Steinewerfer in dem Lauti versteckt haben soll. König erstattete Gegenanzeige wegen Verfolgung Unschuldiger und außerdem wegen rassistischer Bemerkungen in der Ermittlungsakte.
Die Lage der Roma ist auch heuer wieder in mehreren Orten eskaliert. In Tschechien konzentrierten sich die Angriffe, die von faschistischen Parteien organisiert werden, auf Varnsdorf an der sächsischen Grenze. Bis Ende Oktober gab es dort eine Serie von Aufmärschen, die allerdings dank kontinuierlicher Solidaritäts- und Aufklärungsarbeit von über 1000 auf zuletzt noch knapp 50 TeilnehmerInnen zusammenschrumpften.
In Bulgarien kam es am Herbstanfang zu landesweiten Ausschreitungen gegen Roma. Und in Ungarn sind die Übergriffe sogenannter "Bürgerwehren" dermaßen außer Kontrolle geraten, dass sogar die rechtslastige Regierungspartei (nach über 50 Fällen extremer Gewalt mit vielen Toten) zaghaft an der Notbremse zog. Die Bürgerwehren müssen künftig mit der Polizei zusammenarbeiten – verboten wurden sie nicht, da sie angeblich "zur Entlastung der Polizei" benötigt werden. Und sogar ein neues Gesetz gegen rassistische Übergriffe ist in Planung. In Burgas/Bulgarien gab es außerdem Übergriffe auf Zeugen Jehovas.
Ein paar der faschistischen Morde der letzten Jahre in Russland sind heuer bestraft worden. Für den Mord an dem Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und der anarchistischen Journalistin Anastasia Baburowa ist ein Neonazipärchen Anfang Mai zu lebenslang bzw. 18 Jahren wegen Beihilfe verknackt worden; ob sie's tatsächlich waren, ist unklar, denn Stas hatte sich nicht nur mit Neonazis angelegt, sondern auch mit der Moskauer Immobilienmafia und der Armee in Tschetschenien. In Angarsk wurden im November 20 Faschos für den Überfall auf ein Anti-Atom-Camp 2007 verurteilt, bei dem Ilja "Agler" Borodajenko erschlagen worden war. Ermittlungen und Verfahren waren so schlampig geführt worden, dass es erst im 4. Anlauf zum Urteil kam und auch nur vier der Faschos in den Knast gehen, der Rest bekam Bewährung. Und Anfang Oktober sprengte sich in der Ukraine der flüchtige Mörder des Sharp-Skins Iwan "Kostolom" Chutorskoi und des Richters Eduard Tschuwaschow, der vermutlich auch an der Markelow-Sache beteiligt war, beim Joggen versehentlich mit einer Handgranate.
Der diesjährige NPD-Bundesparteitag war eine ganz schöne Strapaze für die Partei. Zahlreiche Tagungsorte, die sie sich ausgesucht hatte, wollten sie nicht haben, so dass die Sache ein ums andere Mal verschoben werden musste. Schließlich klappte es Mitte November in Neuruppin, allerdings nicht ohne kritische Begleitung.
Sven Kahlin, der Mörder des Dortmunder Punks Schmuddel, ist nach dem gefühlten 20. Übergriff seit seiner Entlassung auf Bewährung (mangels Gefährlichkeit und wegen Gesinnungswandels) endlich wieder eingefahren; er hatte am 26.11. mit einer Horde anderer Faschos zwei Türken krankenhausreif geprügelt, weil der Eine geguckt hatte, und war auf frischer Tat erwischt worden.
Jetzt noch ein paar aktuelle Meldungen: Ein Konzert der unpolitischen NPD-Hool-Band Kategorie C in Leipzig ist verboten worden, eine Gegendemo wurde aus der Innenstadt verbannt und daraufhin abgesagt.
Gegen rechte Strukturen und Übergriffe demonstrierten am 10.12. in Greifswald an die 1000 Leute. Am Rande gab es Stress mit ein paar Faschos, und die Hütte eines bekannten Nazis wurde von zwei Wasserwerfern beschützt. Angeblich wollten ca. 75 Faschos die Demo angreifen, knickten den Plan aber nach Kenntnisnahme der Zahlenverhältnisse. Schon bei der Anreise waren elf Faschos aus einem Zug verwiesen worden.
Am gleichen Tag wurde in Stockholm ein Naziaufmarsch von 2000 Leuten blockiert, mit internationaler Beteiligung. In Köln konnten 50 Faschos ein paar hundert Meter durch Kalk laufen, obwohl 600 GegendemonstrantInnen das zu verhindern versuchten, weil Team Green massiv auf der braunen Seite mitmischte. Selbstironisch wie immer liefen die Nazis unter dem Motto "gegen Polizeirepression".
An dem Programm "Hellwach gegen Rechtsextremismus" beteiligte sich auch die Wuppertaler Antifa. Sie entwarf ein Quiz für PolizistInnen, in dem etwa abgefragt wird, was zu tun ist, wenn jemand eine Hakenkreuzfahne schwenkt, ob Sprüche wie "Juda verrecke!" verboten sind, wieso Nazis bei der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet werden und wie man ZeugInnen eines Naziüberfalls vernimmt (a: möglichst schnell, b: möglichst spät, c: erst mal einschüchtern).
Am 15.12. bekam der Vermieter der Berliner Nazikneipe "Zum Henker" Besuch von 25 AntifaschistInnen, die ihn über die Funktion des Ladens als Treffpunkt und Rückzugsraum für Neonazis sowie als Ausgangspunkt für deren Aktionen aufklärten. Hätte ja sein können, dass er es trotz x Demos noch nicht mitgekriegt hatte. War ihm aber so und so wurscht.
In der Nacht auf den 14.12. warfen vermutlich Faschos am Nürnberger Kulturzentrum Komm Scheiben für mehrere Tausend Euro ein; am folgenden Samstag wurde dagegen demonstriert. Für einen beinahe tödlichen Übergriff auf einen Antifa bekam ein Nazi dort übrigens 5½ Jahre Knast wegen schwerer Körperverletzung; Nebenklage und Staatsanwaltschaft gehen in Berufung, weil sie das für einen versuchten Totschlag halten. War leider nicht der letzte Fall, am 17. schickten am Rande des Spiels Osnabrück-Darmstadt zwei Faschos einen Fan ins Krankenhaus, weil er sich ihrer Ansicht nach mit Linken unterhalten hatte.
In Oldenburg wurde in der Nacht auf den 19.12. die Wohnungstür eines NPD-Stadtrats zugemauert, um ihm symbolisch den Weg zur Stadtratssitzung zu versperren.
Die Antifa warnt vor staatlichen Programmen gegen Rechtsextremismus. Sie outete mehrere Organisationen in Schleswig-Holstein, die mit wohlklingenden Namen versuchen, aktive AntifaschistInnen zu ködern, aber verheimlichen, dass sie engste Beziehungen zu LKA und Verfassungsschutz unterhalten.

AK Antifa

VS-Verbot jetzt!

Soll ja niemand behaupten, es hätte keine Hinweise gegeben. Der saarländische Landtags-Innenausschuss lud sich am 18.4. sogar eine Antifa-Gruppe ein, weil entdeckt worden war, dass sich die Neonaziszene über mit ihnen verbundene private Sicherheitsdienste mit Waffen ausrüsteten; im Gegensatz zur Antifa bestritt der Verfassungsschutz, dass es ein Problem geben könnte. Anfang Oktober wurde dann aus Leipzig gemeldet, dass sich NPD-Führungskader über den örtlichen Bundeswehr-Reservistenverband mit scharfen Waffen ausgerüstet haben – und noch dazu mit den nötigen Waffenscheinen! Mitglieder des Reservistenverbands können übrigens zu Schießübungen auch Gäste mitbringen, da können die also gleich noch üben. In Freiburg hatte die Antifa bereits letztes Jahr einen NPD-Funktionär wegen dessen Bombenbasteleien der Staatsanwaltschaft ans Messer geliefert; der Prozess endete allerdings erst kürzlich mit einer Bewährungsstrafe, weil ihm keine konkreten Anschlagspläne nachgewiesen werden konnten.
Und dann erschossen sich Anfang November zwei von der Polizei umstellte Bankräuber in Eisenach. Wie sich herausstellte, waren sie Teil einer Terrororganisation, die als "Nationalsozialistischer Untergrund" eine ganze Mordserie und mehrere Bombenanschläge begangen hat. Jetzt sind Konsequenzen fällig. Die klandestine Organisation "Verfassungsschutz" fördert den Rechtsextremismus nicht nur finanziell und organisatorisch, sie hat auch über Jahre eine Nazi-Terrorzelle geführt, mit falschen Papieren versorgt und vor der Verhaftung geschützt, damit sie weiter ungestraft Ausländer ermorden kann. Konkret hat z. B. der damalige Thüringer VS-Chef Helmut Roewer, der seine Gesinnung mittlerweile beim rechtsextremen Grazer Ares-Verlag schriftlich vertreibt, wohl zu verantworten, dass die Kriminalpolizei gestoppt wurde, die die Nazis schon 1998 (!) wegen eines Bombenanschlags verhaften wollte. Und ein hessischer VSler war sogar bei mehreren Morden anwesend. Darum VS-Verbot jetzt! Die NPD geht dann ganz von selber kaputt, wenn sie auf einen Schlag die Hälfte ihrer Leute und jede Menge Subventionen verliert.
Inzwischen wurden einige Hinterleute verhaftet, und das wiederum weist darauf hin, dass da noch viel mehr dranhängt. Gleich der erste Verhaftete wohnte in Lauenau (Kreis Schaumburg) bei Hannover, wo es eine große und sehr aktive Szene der "autonomen Nationalisten" gibt.
Über den Tod der beiden mutmaßlichen Serienmörder gibt's unterschiedliche Varianten. Eine besagt, sie seien nach einem Banküberfall umstellt gewesen und hätten sich deshalb umgebracht, eine andere, die Spurenlage deute gar nicht unbedingt auf einen Selbstmord hin. Dass sie überhaupt so lange ihr Unwesen treiben konnten, liegt nicht zuletzt am unterschwelligen Rassismus der Ermittlungsbehörden selbst – die Sokos "Bosporus" und "Istanbul" ermittelten hauptsächlich in Richtung Milieukriminalität, illegale Glücksspielszene und "innertürkische Konflikte" und konnten sich ein rassistisches Motiv irgendwie nicht so richtig vorstellen. So wurden dann teilweise auch die Angehörigen der Opfer in der Presse als Kriminelle hingestellt.
Die Distanzierungen der NPD sind halbherzig. Der Nürnberger stellvertretende Kreisvorsitzende Rainer Biller flog wegen rassistischer Kommentare über die Opfer der Mordserie, die er bei Facebook veröffentlicht hatte, aus der Partei (allerdings erst nach einer Anzeige; vorher bekam er von seinen FreundInnen etliche "Gefällt mir"). Und in Leipzig wurde ein Auftritt von Karl-Heinz Hoffmann, Gründer der gleichnamigen Wehrsportgruppe, im "nationalen Zentrum" nur wegen massiver Proteste abgesagt. Die sächsische Antifa weist auch darauf hin, dass Hoffmanns Rittergut vom Land mit insgesamt 130.000€ gefördert wurde und dass sächsische Neonazis ganz legal über 150 Schusswaffen besitzen – Dunkelziffer könnt Ihr Euch denken. Der Terror geht unterdessen weiter, am 27.11. ist auf einen Wittenberger Asia-Imbiss ein Nagelbombenanschlag verübt worden.
Eine ganze Serie von Demos und Kundgebungen gegen die Nazi-Terrorzelle gab es auch noch im Dezember. Die Unterstützung dieser und anderer Faschos durch den Staat, vor allem über den Verfassungsschutz, wurde überall mehr oder weniger stark kritisiert, teilweise bis hin zur Forderung nach der Auflösung des VS.
In Nürnberg demonstrierten am 9.12. 600 Leute an einem der Tatorte, in Hamburg waren es über 400 Leute, die zur Innenbehörde wollten, aber nicht vorgelassen wurden. In Mainz folgten tags darauf 200 Leute einem eher braven Aufruf eines Bündnisses bis hin zur Jungen Union, aber auch die forderten immerhin ein NPD-Verbot. Ebenfalls 200 Leute, darunter der Bürgermeister, beteiligten sich in Sulzbach-Rosenberg an einer Gedenkkundgebung für die Opfer, während in Fürth 100 Leute gegen Naziterror und Verfassungsschutz protestierten. Am 11. gab es dann in Berlin ein Straßenfest unter dem Motto: "Integration is over! Wir sind alle Schutzgelderpresser! Die Drogenmafia lädt ein zum Reden über Rassismus."
Am 15.12. gab es vor dem Thüringer Landtag in Erfurt während der Haushaltsberatungen eine Protestkundgebung gegen Geld für den VS, das dann eh bei den Nazis landet; anschließend besetzten 40 Leute das Landesamt für Verfassungsschutz fast drei Stunden lang, ehe der Innenminister sich bequemte, mit ihnen zu diskutieren. Der VS-Auflösung stimmte er aber nicht zu. Zwei Tage später demonstrierten in Würzburg 100 Leute gegen Naziterror und Rassismus, und in Köln-Mülheim gingen 400 für Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt auf die Straße und erinnerten an einen Nagelbombenanschlag mit 22 Verletzten vor sechs Jahren, ehe sie die örtliche Bullenwache mit Parolen und Farbeiern eindeckten. Anschließend gab's noch eine Gemüseschlacht vor dem MHP-Büro (Graue Wölfe, türkische Faschos). Und am 22.12. wurde in Freiburg gegen Repression und Nazigewalt demonstriert, Bericht gab's bis Redaktionsschluss noch keinen.

AK Antifa

Am See Natur und nicht Nazis!

Stress mit Nazis gab es in unserer Region wieder vor Allem in Vorarlberg, aber nicht nur. Einerseits waren wieder jede Menge Stumpffaschos unterwegs, die sich im Suff mit den Bullen anlegten, bei Fußballspielen rumprügelten oder MigrantInnen und Linke angriffen. Aus Bregenz wurden mehrere Vorfälle gemeldet. Heuer gab's dafür sogar zur Abwechslung mal ein paar Haftstrafen.
Aber auch die organisierten Nazis gibt es noch. Ein Bus nach Dresden sollte frecherweise von Lindau aus starten, es gab gewisse Störmanöver und es ist nicht klar, ob es trotzdem geklappt hat; in Dresden sind sie jedenfalls gescheitert. In Götzis verlor ein FPÖ-Kommunalpolitiker sein Amt, der zu Hause Waffen und NS-Devotionalien hortete und für Blood&Honour T-Shirts bedruckte. Die Gründung einer Vorarlberger Sektion der "Heimatpartei Österreich" scheiterte vorerst an der politischen Verwirrtheit der Beteiligten, zur Wahl 2014 will sie aber trotzdem antreten. Und in Reuthe wurde im Juli beim islamischen Verein ein Schweinekopf abgegeben.
Ein internationales Euro-RassistInnentreffen fand am 10.9. in Diepoldsau statt. Von der österreichischen Seite demonstrierten 100 Leute dagegen, während in Heerbrugg 250 Antifas von der Polizei gekesselt wurden; sie bekamen Anzeigen, das Verfahren läuft noch. Einige der österreichischen GegendemonstrantInnen wurden zum Schluss noch von 30-40 Faschos unter den Augen der Polizei zusammengeschlagen.
Für eine Rudolf-Hess-Gedenkaktion sind in Friedrichshafen Ende Oktober fünf Faschos wegen Volksverhetzung zu 90 bis 150 Tagessätzen verurteilt worden. Sie hatten im Stadtgebiet Holzkreuze verteilt und Transpis aufgehängt. Und es hat sich nicht mal rentiert, die Außenwirkung war auch nach Selbsteinschätzung gleich null, weil die Cops Bescheid wussten und das Zeug gleich wieder eingesammelt hatten.
Trotzdem wurde immer wieder Nazipropaganda verteilt, so bei verschiedenen Materialabwürfen (die teilweise von antifaschistischen Menschen gleich wieder aufgeräumt wurden) und auf dem Ravensburger Weihnachtsmarkt sogar von einem Nazilaus, der Beutel unters Volk brachte, in denen sich neben Plätzchen auch Flyer befanden. Und auch auf die Volkstrauertagsveranstaltung in Überlingen verirrte sich ein Schwung JN-Birnen.
Am 9.11. gab es in Dornbirn eine Antifademo, bei der 50 Leute (hauptsächlich von der SJ) gegen Antisemitismus, Faschismus, Rassismus und FPÖ demonstrierten. Gescheitert ist dagegen heuer endgültig der Plan, im Lindauer Friedensmuseum ein wissenschaftliches Seminar mit Überlebenden der SS- und Wehrmachtsmassaker des Sommers 1944 in der Toskana zu veranstalten; die Finanzierung kam nicht zustande. Immerhin konnte ein längeres Interview mit ZeitzeugInnen aufgezeichnet werden, was sehr wichtig ist, weil die ja auch nicht jünger werden.
Und am 10.12. um vier Uhr früh legten sich in Singen zwei NPDler, die vom patriotischen Stammtisch nach Hause wankten, unterwegs noch mit BesucherInnen einer Dönerbude an und verloren standesgemäß deutlich. Die JN behauptet, daraufhin hätte es am folgenden Abend eine Spontandemo mit 40 "jungen Deutschen" gegeben, denen sich noch spontaner unterwegs 20 weitere angeschlossen hätten, ehe das Ganze in einer Polizeikontrolle endete. Das angekündigte Beweisvideo haben sie uns aber noch nicht geschickt.

Antifa Bodensee

Eingebaut

In US-Gefängnissen beginnt sich Widerstand zu regen. Am 1.7. begannen mehrere Hundert Gefangene im kalifornischen Hochsicherheitsknast Pelican Bay aus Protest gegen ihre Haftbedingungen, vor allem die Isolation, mit einem Hungerstreik. Hunger- und Arbeitsstreiks weiteten sich dann auf insgesamt 13 Knäste aus, es beteiligten sich über 6000 Gefangene. Der Streik in Pelican Bay endete am 22.7. mit Zugeständnissen der Direktion; künftig soll es für die Häftlinge Bildungsmöglichkeiten geben, was eine der fünf Hauptforderungen war.
Aber nicht einmal diese eine Zusage wurde eingehalten. Die StreikteilnehmerInnen bekamen noch nette Briefe, dass Streiks jeder Art gegen die Hausordnung verstießen und die Knastleitungen sich deshalb disziplinarische Maßnahmen vorbehalten würden (nebenbei wurde in diesen Briefen übrigens die Zahl von über 6000 Streikenden offiziell bestätigt). Somit begann am 26.9. ein neuer Hungerstreik, der sich bis Anfang Oktober erneut auf ganz Kalifornien ausweitete, bis wieder 6000 Leute dabeiwaren. In Pelican Bay endete er nach drei Wochen, weil eine Überprüfung der Fälle der Streikenden (und damit der Isolationsmaßnahmen) angeordnet wurde. In Calipatria und Salinas Valley streikten Hunderte weiter; sie wollten, dass ihre Forderungen für alle Gefangenen in ganz Kalifornien durchgesetzt werden. Über den Ausgang ist nichts bekannt.
Zum Menschenrechtstag am 10.12. gab es Knastkundgebungen in Stuttgart-Stammheim (100 Leute) und Hannover (10 Leute).
Aus russischen Knästen wird berichtet, dass dort Tuberkulose als Waffe eingesetzt wird. Missliebige Gefangene werden mit Erkrankten zusammengesperrt, bis sie sich anstecken. Medikamente oder gar ärztliche Behandlung gibt's bloß bei Wohlverhalten oder wenn Alles zu spät ist.
In Deutschland gibt's sowas natürlich nicht, aber die Pigs probieren's zumindest. Im Verfahren gegen Verena Becker wurde einer weiteren Zeugin Beugehaft angedroht, nach Protesten allerdings vorerst ausgesetzt. Die Betroffene ist schwer krank und bekommt Chemotherapie, ist also eigentlich haftunfähig und wäre bei einer sechsmonatigen Beugehaft in akuter Lebensgefahr. Sicherheitshalber demonstrierten am 21.12. 50 Leute vor dem Leipziger Bundesverwaltungsgericht. Wenn das mal kein Fehler war, die Entscheidung liegt nämlich beim BGH.
In Hamburg geht der absurde Piratenprozess weiter. Der Gerichtstermin am 12.12. fiel aus, weil einer der jugendlichen Angeklagten im Knast Opfer eines gewaltsamen Übergriffs geworden war; er wurde mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus geschickt.
In München ist aufgeflogen, dass der im März mit 64 Jahren gestorbene linke Aktivist Günter K. in Wirklichkeit für die Stasi gearbeitet hat. Oder wie das in Bayern halt heißt. Jedenfalls hat er dem Verfassungsschutz detaillierte Berichte über Treffen, Aktivitäten und Persönliches abgeliefert. Nachdem er in der Münchner linken Szene jahrzehntelang ziemlich aktiv war, z. B. bei der VVN-BdA, und etliche Vertrauenspositionen (z. B. die Verwaltung diverser Solikassen) besetzt hatte, sind da ziemlich viele Leute ziemlich schockiert. Der Verfassungsschutz erklärte, selbstverständlich würde er nur extremistische Gruppierungen beobachten. Oder Gruppierungen, die mit denen zu tun haben.
Zwei Aktivisten, die beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 für sechs Tage in Verhinderungsgewahrsam gelandet waren, weil sie nach Ansicht der Bullen und sämtlicher deutscher Gerichtsinstanzen mit Transparenten wie "Freedom for all prisoners" andere zu Straftaten (Gefangenenbefreiung) anstacheln wollten, haben jetzt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt bekommen, dass das rechtswidrig war. Sie bekommen ihre Unkosten (je gut 4000€) und pro Nase 3000€ Schmerzensgeld gezahlt. In dem Urteil werden übrigens Feststellungen getroffen, die die Verhängung von Verhinderungsgewahrsam zukünftig stark einschränken könnten.

Kommando Mauerspecht

Todeskandidaten

Der angebliche Polizistenmörder Troy Davis ist in der Nacht auf den 22.9. im US-Bundesstaat Georgia hingerichtet worden. Es war bereits sein vierter Hinrichtungstermin, und auch diesmal hatte es in letzter Minute noch einen mehrstündigen Aufschub gegeben. An Troys Schuld gibt es erhebliche Zweifel, sieben von neun ZeugInnen haben ihre Aussagen widerrufen und Einige von ihnen belasten den achten Zeugen. Das US Supreme Court fand aber, um ein Todesurteil umzuschmeißen, müsste er schon was Handfesteres liefern als die Aussagen von so offensichtlich wankelmütigen ZeugInnen. Bis zuletzt hatte es Proteste gegeben: auf dem Weingartener U&D unterschrieben weit über 100 Leute eine Petition gegen die Hinrichtung, vor der US-Botschaft in Berlin versammelten sich am Abend des 21. zahlreiche DemonstrantInnen; als ihnen der Lauti um 22 Uhr abgestellt wurde, hämmerten 50 Leute stundenlang gegen die Absperrgitter und waren so auch nicht leiser. Auch in anderen europäischen Hauptstädten wurden die US-Botschaften belagert. Nach der Hinrichtung gab es wütende Demonstrationen, so noch in der Nacht am US Supreme Court in Washington. Am nächsten Freitag gab es sogar beim St.-Pauli-Spiel ein Troy-Transpi im Stadion.
Der Fall brachte sogar eingefleischte TodesstrafenbefürworterInnen zum Nachdenken, weil es offensichtlich wurde, dass auch bei extrem starken Zweifeln an der Schuld eines Verurteilten alle "Sicherheiten" versagen. Der Gouverneur von Oregon hat inzwischen für den Rest seiner Amtszeit die Todesstrafe ausgesetzt und öffentlich erklärt, dass er die beiden Hinrichtungen bereue, die er bisher zugelassen hat.
Die Hinrichtung von Mumia Abu Jamal ist jetzt endgültig vom Tisch. Der Supreme Court lehnte einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft am 11.10. ab, weil die Strafmaßfindung verfassungswidrig gewesen sei. Um trotzdem noch ein Todesurteil zu bekommen, hätte die Staatsanwaltschaft die Strafmaßfindung wiederholen lassen müssen, und das wäre nur mit einer neuen Beweisaufnahme, die sie immer vermeiden wollte. So gab sie schließlich Anfang Dezember (kurz vor dem internationalen Mumia-Aktionstag zum Jahrestag seiner Verhaftung am 9.12.) bekannt, dass sie darauf verzichtet. Bereits wenige Tage später wurde Mumia aus dem Todestrakt in ein normales Gefängnis verlegt. Seine UnterstützerInnen hoffen darauf, dass er irgendwann doch noch rauskommt, auch wenn juristisch momentan alle Möglichkeiten ausgeschöpft scheinen.

Bezugsgruppe internationale Solidarität

Keine Freunde helfen

Im Gedenken an den vor drei Jahren in Athen von der Polizei erschossenen Jugendlichen Alex fand am 10.12. in München eine Demo gegen Polizei, Staat und Repression mit 200 Leuten statt. Bei der Auftaktkundgebung stressten 20 Faschos rum, konnten aber weggeschickt werden.
Weniger bekannt als Alex wurde der Fall des 33-jährigen Kurden Arivan Osman Aziz, der 2009 von den Cops in Igoumenitsa totgeprügelt wurde. Der letzte verbleibende Zeuge der Anklage, ein Flüchtling, der inzwischen legal in Griechenland lebt, wurde Anfang Dezember auf Kreta von der Polizei erkannt und daraufhin krankenhausreif geschlagen. Er will trotzdem aussagen.
In Berlin demonstrierten am 17.12. 200 Leute gegen Nazi- und Staatsgewalt, unter ihnen zahlreiche Angehörige von Opfern rassistischer Polizeiübergriffe.
Und in Nabi Saleh im Westjordanland wurde Mitte Dezember Mustafa Tamimi bei Protesten gegen die Sperrmauer mit einer Tränengaskartusche getötet, die ihm direkt ins Gesicht geschossen wurde.
Der erneute Revisionsprozess um die Verbrennung von Oury Jalloh auf der Dessauer Polizeiwache läuft zwar schon wieder irgendwie gegen den Baum, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, und weil die Staatsanwaltschaft alles tut, um die Bullen zu decken, aber immerhin setzt sich das Mosaik für aufmerksame BeobachterInnen immer deutlich zu einem erschreckenden Tathergang zusammen. Es war ja bisher schon unglaubwürdig, dass sich der an Händen und Füßen gefesselte und vorher zweimal durchsuchte Oury selber angezündet haben soll. Bereits aus dem ersten (ergebnislos gescheiterten) Prozess war bekannt, dass er gar keinen Rauch in der Lunge hatte, dafür aber weitere Verletzungen aufwies. Und jetzt hat ein Polizist mit einer Zeugenaussage das Lügengebäude seiner KollegInnen zum Einsturz gebracht. Die Cops Udo und Ulli, die Oury verhaftet hatten, hatten nämlich bisher immer behauptet, ihn um neun in die Zelle gebracht zu haben und danach nicht nochmal nachgeschaut zu haben, ehe Oury am Mittag verbrannte. Kollege Torsten sagte jetzt allerdings aus, dass die beiden kurz vor Mittag nochmal in der Zelle waren und Jalloh offenbar nochmal durchsucht hätten. Bisher hatte nur Kollegin Beate, die anschließend psychiatriereif gemobbt wurde, behauptet, um halb zwölf über die Sprechanlage gehört zu haben, dass jemand in die Zelle kam. Außerdem fand das Gericht bei einem Lokaltermin heraus, dass Schreie aus der Zelle auch bei ausgeschalteter Sprechanlage im Obergeschoss zu hören gewesen wären. Da niemand was gehört hat, war klar, dass Oury schon nicht mehr schreien konnte, als er verbrannte – verbrannt wurde, um zu vertuschen, dass sie ihn zuvor getötet hatten. Der Prozess ist momentan bis zum 19.1. terminiert; wenn ein neues Brandgutachten, das die Nebenklage beantragt hat, genehmigt wird, kann er aber auch bis zum Mai dauern.
Das Urteil gegen den "Ulmer Kessel" bei der Antifademo gegen den JN-Aufmarsch am 1.5.2009 ist rechtskräftig. Jetzt wollen Betroffene Polizeichef Keller verklagen; wer im Kessel war, ist eingeladen, auch ne Schmerzensgeldforderung zu stellen. Die Staatsanwaltschaft geht aber munter weiter gegen die Opfer vor, und es ist erstaunlich, was zumindest in erster Instanz alles durchgeht. Ein Wollmützenträger wurde erst in der Berufung vom Vorwurf der Vermummung freigesprochen.
In Rosenheim wurde letzten Oktober ein Mensch auf der Polizeiwache bei der Entlassung aus der Ausnüchterungszelle von zwei Cops krankenhausreif geprügelt. Wie üblich bekam das Opfer Anzeigen wegen Widerstand, versuchter Körperverletzung und Hausfriedensbruch. Am 5.5. war deswegen Verhandlung; leider wurde der Betroffene zu einem Deal erpresst. Er legte ein falsches Geständnis ab und bekam dafür eine sechsmonatige Bewährungsstrafe; andernfalls war ihm eine Haftstrafe ohne Bewährung angedroht worden. Vier Monate später musste allerdings der Rosenheimer Oberbulle zurücktreten, weil er am 3.9. einen 15-jährigen verdroschen und sogar, als er schon gefesselt war, dessen Kopf mehrfach gegen eine Wand geschlagen hatte; der Schüler landete schwer verletzt im Krankenhaus und verlor einen Zahn. In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass der Täter schon mehrfach durch Gewalttaten aufgefallen war; die Staatsanwaltschaft hatte gerade erst ein Verfahren eingestellt, das sie nun schuldbewusst schnell wieder aufgenommen hat, weil "neue Akten" bekanntgeworden seien; ob es sich dabei um das vorgenannte handelt, wurde nicht mitgeteilt.
In Frankfurt wurde eine Frau nach einem Streit auf dem Arbeitsamt von einer Polizistin erschossen. Angeblich war sie mit einem Messer auf einen Polizisten losgegangen, der Schnitte an Bauch und Arm erlitt. Über die Größe des Messers und die Ernsthaftigkeit des Angriffs wurde nichts mitgeteilt, dafür über die Hautfarbe der Toten und deren frühere Staatsangehörigkeit. Sie heißt Christy Schwundeck und war 39 Jahre alt. Gegen ihre Tötung protestierten dort am 19.6. 150 Leute unter dem Motto "Wir sind alle Christy – Bitte nicht schießen!"

Die Buchhaltung

Wunder der Baukunst

Josef "der Investor" Wund musste sich heuer vor dem Stuttgarter Landgericht dafür verantworten, dass er beim Neubau einer Klinik in Meerbusch (NRW) 2,1 Millionen Euro Schmiergeld an den Chefarzt und einen Geschäftsführer bezahlt haben soll. Die Staatsanwaltschaft kam ihnen dadurch auf die Schliche, weil er das Schmiergeld als "Honorar" von der Steuer absetzte und offenbar auch in die Baukosten reinrechnete, so dass es letztlich vom Krankenhausträger bezahlt wurde. Wund stritt alles ab und behauptete, es handle sich um ganz normale Honorare für tatsächlich erbrachte Gegenleistungen, und dass seine Partner die nicht ordnungsgemäß versteuert haben, sei ja wohl nicht sein Problem. Das Verfahren wurde wegen schwieriger Beweislage schließlich gegen die Zahlung von einer Million an wohltätige Einrichtungen eingestellt; der Anklage wurde die hartnäckige Aussageverweigerung von Wunds Buchhalter zum Verhängnis. Von Anna und Paul lernen heißt siegen lernen.

Abrisskommando Hintere Insel

Kalinka, zum Dritten

So, hätten wir das endlich: Der Lindauer Ex-Frauenarzt und mutmaßliche Serienvergewaltiger Dieter Krombach ist für den mutmaßlichen Sexualmord an seiner Stieftochter Kalinka 1982 im dritten Anlauf zu 15 Jahren verknackt worden.
Nachdem sich die Kemptener Staatsanwaltschaft für den Fall nicht besonders interessierte und sogar Beweismittel verschlampte (darunter die herausoperierten Geschlechtsteile des Opfers), fand ein erster Prozess Ende 90er in Frankreich statt, wo Kalinka gelebt hatte. Schon damals bekam er 15 Jahre, allerdings in Abwesenheit und nur aufgrund des Plädoyers von Anklage und Staatsanwaltschaft; nach französischem Recht durfte ihn auch sein Anwalt nicht vertreten, da er sich dem Verfahren entzog, er hatte jedoch Anspruch auf ein neues Verfahren, sollte er denn jemals der französischen Justiz in die Hände fallen. Dieses Procedere hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für rechtswidrig, weil unfair, so dass Krombach zunächst sogar eine Entschädigung bekam; das französische Recht musste angepasst werden (was ja eigentlich auch nicht schlecht ist).
Deutschland wollte ihn nicht ausliefern, und auch Österreich ließ ihn nach einer kurzzeitigen Verhaftung wieder laufen. In Deutschland missbrauchte er in der Zwischenzeit munter weiter seine Patientinnen, was ihm lediglich eine Bewährungsstrafe für einen einzigen Fall einbrachte; immerhin fuhr er danach wegen Betrugs ein, weil ihm auch die Approbation (Arbeitserlaubnis) entzogen wurde, er aber trotzdem in einer Praxis eine Vertretung übernahm.
Schließlich löste sich das Problem, indem ihm ein paar Leute eins auf den Kopf gaben, ihn in den Kofferraum steckten und gefesselt vor einem Gerichtsgebäude im Elsass ablegten. So kam es im Frühjahr in Paris zu einem zweiten Prozess, der jedoch wegen Gesundheitsproblemen des Angeklagten länger als erlaubt unterbrochen wurde, so dass er jetzt im Oktober nochmals komplett aufgerollt werden musste. Das Gericht befand am 22.10., Krombach habe Kalinka mit einer Spritze betäuben wollen und dadurch unbeabsichtigt getötet. Berufung läuft.

AK sexuelle Selbstbestimmung

Bahnhof wählen!

In der Lindauer CSU gab es heuer gehörig Krach. Es ging damit los, dass Oberbürgermeisterin Petra Meier tB-S (to Bernd-Seidl) sich bei den Kungelrunden mit der Wirtschaft ein bisschen zu wenig berücksichtigt fühlte. Beleidigt trat sie aus der CSU-Kreistagsfraktion aus und wechselte zu den Freien Bürgern. Die CSU stellte deshalb im Herbst Rainer Rothfuß als Gegenkandidaten für die OB-Wahl 2012 auf.
Außerdem sind auch in Lindau inzwischen die Piraten aufgetaucht, und die haben zur OB-Wahl nächsten Februar auch einen Käptn aufgestellt. Inhaltlich kommen sie als politisch ahnungslosere Variante der Bunten Liste rüber, wobei sie sowohl deren Altersdurchschnitt (mit geschätzten 40:55) als auch deren Frauenquote noch unterbieten. Die etablierten Bunten schockten sie nach anfänglichen Freundlichkeiten wegen gemeinsamer basisdemokratischer Werte gleich mal mit einer Positionierung für die Verlegung des Hauptbahnhofs von der Insel aufs Festland. Und damit wären wir beim Hauptthema der Lindauer Lokalpolitik in dieser Saison.
Die Bahn, die ja eigentlich seit Ende der 90er den Hauptbahnhof nach Reutin verlegen, die Insel vom Schienenverkehr abhängen und die Gleisanlagen als Grundstücke in bester Lage versilbern wollte, fasste nach einem gescheiterten Planfeststellungsverfahren und zahlreichen weiteren Pannen Anfang Juni den aufsehenerregenden Entschluss, dass sie keine Planung gegen den Widerstand der Stadt durchziehen will. Hintergrund ist, dass die Bahn an den Strecken rund um Lindau verschiedene Ausbauprojekte (Elektrifizierung, zweites Gleis, NEAT-Anschlussstrecken etc.) am Laufen hat, die sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren auch wirklich durchziehen will, und deswegen diesen Klotz am Bein loswerden muss, denn gegen die Stadt ist die Bahnhofsverlegung in zehn Jahren nicht machbar, wie schon die letzten zehn Jahre gezeigt haben (in denen z. B. das erste Planfeststellungsverfahren von InselbahnhofbefürworterInnen auseinandergenommen und wegen grober Mängel aufgegeben wurde). Gemeinsam mit der Stadt und dem Verkehrsministerium wurde deshalb die Lösung ausgearbeitet, dass der Hauptbahnhof auf der Insel bleibt und zum Knotenpunkt für die geplante Bodensee-S-Bahn wird, während am alten Reutiner Bahnhof wieder eine Haltestelle entsteht. Durchgehende Fernzüge (also die ICs von München nach Zürich) fahren nicht mehr auf die Insel, sondern halten nur in Reutin.
Diesen Kompromiss, die sogenannte Kombilösung, ließ sich der Stadtrat von der Bevölkerung am 11.12. mit einem Bürgerentscheid absegnen. Dagegen war nur die CSU, die ein eigenes Bürgerbegehren für die Verlegung des Hauptbahnhofs nach Reutin einbrachte, allerdings zu spät, um über beide gleichzeitig abzustimmen. Die Kombilösung wurde mit 61% deutlich angenommen, bei 41% Stimmbeteiligung. Die CSU folgerte daraus messerscharf, dass die 59%, die nicht zur Abstimmung gegangen waren, für die Verlegung des Hauptbahnhofs nach Reutin seien, was zusammen mit den Nein-Stimmen eine satte Mehrheit von 75% für ihre Meinung mache. Komischerweise hatte sie jedoch vier Wochen gebraucht, um die Unterschriften für dieses Bürgerbegehren zusammenzubekommen, und dann waren auch nur 1943 der 2065 abgegebenen Unterschriften gültig, weil übereifrige SammlerInnen sogar ÖsterreicherInnen zur Abgabe eines Autogramms drängten (nötig waren 1929 Unterschriften).
Nachdem kurz vor und nach der Abstimmung etliche FunktionärInnen der CSU-Ortsgruppe ihre Ämter aufgaben und die JU sowieso für den Inselbahnhof war, kristallisierte sich immer mehr heraus, dass das eigentliche Problem CSU-Oberbürgermeisterkandidat Rothfuß war, der ums Verrecken auf der unpopulären Verlegung des Hauptbahnhofs bestand und deswegen das Bürgerbegehren dafür unbedingt durchziehen will, über das am 18.3. (also nach der OB-Wahl am 12.2.) abgestimmt werden soll. Nachdem die Situation immer prekärer wurde, schoss die Ortsgruppe ihren Problembären schließlich am 20.12. in einer Krisensitzung ab.
Jetzt hat sie theoretisch bis zum 2.1. Zeit, einen Ersatzkandidaten nachzunominieren, wenn sie denn einen findet – und wenn Rothfuß so freundlich ist, seine Kandidatur bis dahin schriftlich zurückzuziehen, denn sie ist ja schon offiziell eingereicht. Nicht zurückziehen will er das ebenfalls schon offiziell eingereichte CSU-Bürgerbegehren, und das kann er blockieren, denn er ist eine der drei Vertrauenspersonen, und die können es nur gemeinsam zurückziehen, aber das wollen nur die beiden Anderen.
Rothfuß selber macht derweil Werbung für den Kandidaten der Piratenpartei Marc Fuhrken, der als letzter verbleibender Bewerber für den Hauptbahnhof in Reutin ist, dem aber noch 130 Unterschriften fehlen, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden.

Kommando Erdlochwiese

... und sonst im Dorf...

Fünf Jahre nach der letzten Räumung, drei Jahre nach der letzten Partybesetzung und zwei Jahre nach dem Teileinsturz der Halle tut sich auf bzw. mit dem Gelände der Alten Escher-Wyss-Gießerei am Motzacher Tobelbach in Lindau wieder was: Anfang Mai wurde der geänderte Bebauungs- und Flächennutzungsplan öffentlich ausgelegt. Insbesondere berücksichtigt er jetzt mehr Altlasten. Einen Investor, der das Gelände zu den Konditionen kauft, von denen sie träumt, scheint die Eigentümerin allerdings trotzdem noch nicht gefunden zu haben, denn die Hütte steht immer noch, verrammelt wie bisher. Es ist nicht mal klar, wem die Gießerei jetzt überhaupt gehört: Die Lindauer Kältefirma heißt jetzt nicht mehr Axima, sondern Cofely; ob die jetzt noch zum Suez-Konzern gehört und ob die Gießerei ihrerseits noch Teil der Kältefirma ist, hat Djabba nicht herausbekommen.
Am 17.8. ist der Lindauer Schriftsteller, Bunte-Liste-Unterstützer und Friedensaktivist Estro (Eckhardt B. Strohschänk) gestorben. Von ihm stammt z. B. die Recherche zur Bazienstraße (siehe Terminliste).
Zur Lindauer Nobelpreisträgertagung vom 23.-27.8.2011 waren nur sogenannte Nobelpreisträger eingeladen, es ging nämlich um "Wirtschaftsnobelpreise", und die sind gar nicht von der Nobel-Stiftung, sondern von der schwedischen Reichsbank "im Gedenken an Alfred Nobel". Da sich unter den Bepreisten neben einigen kritischen und fortschrittlichen Geistern auch zahlreiche zwielichtige Gestalten tummeln, die mit ihren teilweise inzwischen grandios gescheiterten Theorien unser derzeitiges Finanzsystem wesentlich mitgeprägt und Grundlagen für "neue Finanzprodukte", Derivatehandel, Hedgefonds und damit auch für die jüngsten Finanzkrisen geschaffen haben, regte sich diesmal zu dem Treffen sichtbarer Widerstand, vor allem rund um die Lindauer attac-Gruppe. Die Heidenmauer gegenüber der Inselhalle wurde täglich gut mit Transparenten bestückt, am 24. gab es eine Flyer-Verteilaktion (und eine Rede von Bundespräsident Wulff, der sich auch ziemlich kritisch äußerte). Vor der Halle gab es zahlreiche Gespräche mit den WissenschaftlerInnen. Am 26.8. gab es eine Demo, an der sich 70 Leute beteiligten, und außerdem eine Segelbootsaktion vor der Mainau anlässlich des traditionellen Ausflugs der TagungsteilnehmerInnen. InseleigentümerInnen und Polizei verhinderten allerdings, dass die gebetenen Gäste von den ungebetenen etwas mitbekamen, und wiesen sie an, 300 Meter Abstand von der Insel zu halten. Einige ganz Ungebetene schafften es aber, unerkannt an Land zu kommen und der Nobelreisetruppe mit ihrem "Die Welt ist keine Ware"-Transpi auf die Pelle zu rücken; einige der Nobels ließen sich sogar damit fotografieren.
Hinter Zech an der Grenze soll eine neue Autobahnraststätte gebaut werden. An sich ist da ja für die alte Autobahn-Grenzstation genug Fläche zubetoniert, aber die Asfinag hat es trotzdem fertiggebracht, eine Planung vorzulegen, die massiv weitere ökologisch wertvolle Flächen direkt an der Leiblach unter Zufahrten und zusätzlichen Parkplätzen begraben würde.
Und Kressbronn kriegt jetzt auch sein Stuttgart 21: Nachdem die Bodan-Werft pleite ist, haben CDU-Bürgermeister Weiß und Werftbesitzer Dittmann mit einem Investor ausgekartelt, dass das Gelände am See mit 180 Wohnungen "gehobenen Stils" zubetoniert wird; im Gemeinderat ging das Ganze mit einer Gegenstimme durch. Die Öffentlichkeit ist über das Ergebnis nicht begeistert und hat den Widerstand mit 1700 Unterschriften begonnen. Die einzige Gemeinderätin, die dagegen war, wurde in der Folge von Sitzungen ausgeschlossen, indem statt Gemeinderatssitzungen nur nichtöffentliche "Workshops" bzw. "interfraktionelle Arbeitsgespräche" abgehalten wurden, und da war sie halt nicht eingeladen.

Der Seehas

Lokale Kultur

Juhu, es hat geklappt: Das U&D Weingarten hat nach acht Jahren Pause endlich wieder stattgefunden! Das ganze dritte Septemberwochenende steppte hinter dem Nessenrebener Freibad der Bär. Zum Abschluss spielten sogar Les Ramoneurs de Menhirs, die Nachfolgeband von Berurier Noir. Und richtig geregnet hat's trotz wüstester Drohungen der Wetterfrösche bloß Freitag Nacht bei der letzten Band.
Das Lindauer U&D im Toskanapark war heuer eine extreme Schlammschlacht. Mehrere Tausend Leute haben trotz strömendem Regen gefeiert. Vom Toskanapark blieb dabei leider nur ein großes Matschloch übrig, für den Rest des Sommers mussten alle geplanten Veranstaltungen von der Caribic Night bis zum Open Eye-Kino verlegt werden, und weil sich die Leute vor der Aftershowparty im Club Vaudeville nicht die Schuhe geputzt haben, hatte die Putzcrew dortselbst auch noch bis einschließlich Mittwoch ihre Freude an den Schlammmassen.
Am Rande kam es zu einem provokativen Aufmarsch von Polizeikräften, die aber von Club-Leuten des Platzes verwiesen werden konnten, ehe es Probleme gab. Ärger machten dann stattdessen einige Hilfskräfte; ein Helfer fing rotzbesoffen eine Schlägerei an, und sogenannte "Ordner" leisteten sich Übergriffe, v. a. auf Punks, von denen einer sogar Handfesseln bekam. Fand der Club selber auch ungeil und will was dagegen machen. Gerüchte über Faschos unter den Ordnern wurden allerdings zurückgewiesen.
Wegen der ruinierten Wiese (auch wenn die inzwischen mit tatkräftiger Hilfe des Clubs wieder hergerichtet ist) steht wahrscheinlich schon 2012 der Umzug auf ein neues Gelände an; ideal wäre natürlich, wenn das wieder auf der Hinteren Insel sein könnte. Weil's südlich der Kaserne wegen lärmallergischer Wund-MieterInnen nicht geht, hat der Club beantragt, den gekiesten Teil des Seeparkplatzes nördlich der Kaserne dafür herzunehmen. Natürlich begrünt. Das "Volxfest" des Club Vaudeville auf der Hinteren wurde dagegen aufgegeben, leider – denn eigentlich war es eine prima Idee, nur hatten wir zwei Jahre hintereinander Pech mit dem Wetter. Immerhin scheint der Club finanziell gerettet zu sein, die Fixkosten wurden wieder in halbwegs vertretbare Dimensionen gedrückt, nur leider passiert dann halt auch immer wieder irgendein Mist – einmal wurde sogar die komplette Abendkasse mit ca. 1000€ geklaut.
Wieder da ist der Eulenspiegel in Wasserburg. Nach dem Scheitern privatwirtschaftlicher Experimente fand sich ein Kollektiv zusammen, das die Kneipe renoviert und umgestaltet hat. Dabei kamen gleich noch ein paar neue Sachen mit rein. Als erstes eroberte sich der Bodensee Art Fund (B.A.F.) Mitte Januar mit der Kunstaktion "Gerümpel" die 8m²-Rumpelkammer am Südwesteck und tobt sich dort seither mit seinem Künstlerkram aus. Das ganze Jahr über lief eine Ausstellungsreihe zum Thema "Binnengewässer"; jeweils meist am 1. Freitag im Monat war Vernissage, zumeist mit künstlerisch wertvollen Speisen, Getränken und einer lustigen Party. Schaut mal rein auf ichbinbaf.de – ist echt ein witziges Projekt. Am 6. Januar 2012 um 20 Uhr stellt dort das Büro für Angewandte Feldforschung "Leuchtturmvisionen für Wasserburg" vor.
Am 4.3. eröffnete dann im ehemaligen Eulenspiegel-Nebenzimmer ein Bioladen, und Ende Mai (etwas später als gedacht – unerwartet hatte sich herausgestellt, dass die hölzerne Fußbodenkonstruktion verfault war und komplett ausgewechselt werden musste) machte dann auch die Kneipe wieder auf. Die ersten Monate wurde sie komplett von Ehrenamtlichen betrieben, Mitte November wurde dann wieder eine feste Struktur mit Pächterinnen geschaffen (d. h. die Ehrenamtlichen können jetzt auch davon leben). Und den Eulenspiegel-Saal mit seinen Eso-, Öko- und Politveranstaltungen gibt's natürlich auch noch.
Leider gibt's auch Abgänge. Unsere Lieblingsräucherstube "Plan B" auf der Lindauer Insel hat im Juni zugemacht, weil Ralle keinen Bock mehr hatte; nach erneutem Stress mit dem Vermieter hat er sogar ohne das geplante Vier-Tage-Leersaufen einfach so zugesperrt. Schade. Wir sagen Ralle danke für ne coole Zeit im chilligsten Schuppen der Stadt, wünschen ihm alles Gute und ne weniger nervige Zukunft und sind auf der Suche nach nem anderen guten Plätzchen auf dieser immer weiter durchgentrifizierten Insel!
Nachdem vollwertiger Ersatz bisher nicht in Sicht ist, trifft sich der Pöbel trotz stilistischer Bauchschmerzen gewohnheitsmäßig in den beiden ehemaligen New Orleansen, von denen das Ältere allerdings auch gerade einen Pächterwechsel hinter sich hat; mal schaun, was da draus wird – im Winter ist eine größere Umbaupause geplant.
Apropos Gentrifizierung. Vom 23.7. bis 20.8. gab's heuer jeden Samstagabend von sechs bis zehn das "Lindauer Hafenspektakel", bei dem StraßenkünstlerInnen mit Musik, Akrobatik, Feuershow und was ihnen sonst so einfällt das Tourivolk bespaßen, ihre Show abziehen und den Hut rumgehen lassen. Klingt ja erst mal ganz nett... allerdings stellt sich die Frage: Machen StraßenkünstlerInnen sowas nicht sowieso immer? Ja eben nicht. In Lindau ist die freie Kunst mittlerweile an ein ziemlich humorloses Genehmigungsverfahren gebunden. Hier soll sie nun offenbar in vier Stunden pro Woche in geordnete Bahnen gepresst werden, statt das Volk der konsumierenden Kuhköppe mit echter Spontanität zu belästigen. Und mit der Kreativität der Teilnehmenden schmückt sich dann auch noch die notorisch ebenso fantasie- wie erfolglose Stadtmarketinggesellschaft "Pro Lindau". Also wieder mal ne ziemlich zweischneidige Sache...
Noch was aus der weiteren Umgebung: Das zweite "Sommer Sonne Subversiv"-Camp fand heuer vom 18.-21.8. statt, und zwar nicht mehr in Kempten, sondern hinter dem Adler in Egelsee bei Memmingen, weil es für die ursprünglich vorgesehene Location "zu politisch" war. Nachdem der Adler sich für die Konzerte zur Verfügung gestellt hatte, bekamen die Subversiven vollkommen überraschend die Erlaubnis, das benachbarte Grundstück am Illerkanal für ihr Camp zu nutzen, so dass Camp und Konzertort diesmal direkt nebeneinander lagen. Und dann war auch noch super Wetter. Leider war das Camp trotz dieser tollen Rahmenbedingungen extrem schlecht besucht, eigentlich waren fast nur die OrganisatorInnen und die Fans einer der Bands da, was wegen dem PC-Faktor Einiger der Ersteren und dem Oi!-Faktor Einiger der Letzteren im Laufe des Samstags zu einem Konflikt führte, der schließlich nach dem Konzert eskalierte, als ein durchgeknallter "Antideutscher" auf dem Zeltplatz mit Pfefferspray auf mehrere Punks (keine Ois) losging, so dass zuletzt noch die Bullen den Platz stürmten. Das für Sonntag vorgesehene Workshop-Programm fiel daraufhin flach. Nächstes Jahr soll's trotzdem noch nen Versuch geben, und zwar gleich eine ganze Woche lang, nicht nur drei Tage.

Die Freiraumkommission

Punk am See

Zwei Punktreffen haben am Osterwochenende in der Gegend stattgefunden. Am Karsamstag trafen sich fast 250 Leute in Friedrichshafen am See zum Punx Picknick. Die Zahl ist so genau bekannt, weil die Cops dank Mobilisierung übers Internet Bescheid wussten, den Platz einkesselten und alle Gäste nach erfolgter Durchsuchung mit numerierten Armbändeln kennzeichneten. Irgendwie hat es auch nicht so ganz geklappt, mit den Kontrollen das Mitbringen von Hart-Alk und anderen Drogen zu verhindern...
Nebenbei wollten die Faschos an diesem Tag im Hafen ihr jährliches Bombardierungsgedenkspektakel abziehen, was nebenbei durch Punx bzw. punkbedingte massenhafte Bullenpräsenz in der Stadt vereitelt wurde. Am Mittag wurden in Rav ein paar Faschos beobachtet, die in den Zug nach FN einstiegen. Nachdem ein paar Punx, telefonisch alarmiert, auf dem Bahnsteig erschienen, stiegen die Nazis gar nicht erst aus, sondern fuhren wieder zurück. Weitere Begegnungen verhinderte die Polizei.
Das Treffen verlief dann trotz Provokationsversuchen der Bullen relativ chillig, so dass sie dann abends gegen sieben einfach behaupteten, es hätte "Ausschreitungen" gegeben und das Treffen müsse deswegen aufgelöst werden. War auch kein Problem, bis dahin war längst der Plan B ausgemacht, die Punx lösten sich brav auf und feierten anschließend in Rav auf dem Marienplatz weiter. Ein Streifenwagen kreuzte auf und wurde weggeschickt. Am Ostermorgen kullerten da immer noch 30 Leute rum...
Die Stadt Ravensburg hat übrigens einen lustigen Vertrag mit ihren Punks geschlossen. Sie sollen dafür sorgen, dass die Hunde nicht kläffen, und dürfen nicht mehr Frisbee spielen; insgesamt umfasst das Machwerk "10 Gebote" und wurde sogar von vier Punks (oder was die Stadt dafür hält) unterschrieben. Einer von denen wurde aber inzwischen schon wieder beim Frisbee-Spielen erwischt. Der Zettel hängt zur allgemeinen Belustigung am Marienplatz aus.
70 Punx, Skins und andere Freaks begaben sich dann im Laufe des Tages nach Bregenz, wo dieses Jahr das Osterbiersuchen steigen sollte. Weil zwei stark unterschiedliche Startzeiten angekündigt worden waren, gab es zunächst ein bisschen Verwirrung, die durch den Konsum unversteckter Biere gelöst wurde, und schließlich wurde der Hase beim Dosenlegen noch von einer Banausenoma gestört ("Heben Sie das sofort wieder auf, sonst rufe ich die Polizei!"). Die Polizei kam allerdings nicht, und die Eier konnten planmäßig konsumiert werden, so dass auch das angedrohte intellektuelle Rahmenprogramm nicht mehr nötig war.
Ansonsten gab es das ganze Jahr über mehrere kleinere Punktreffen in der Region, zuletzt gab es am 26.11. noch ein "Gelagerfeuer" auf der Hinteren Insel, von dem aber nur überliefert ist, dass um halb zwölf schon alle besoffen gewesen seien.

Die Partykommission

... und im Rest der Welt

Die indonesischen Behörden haben in der Provinz Aceh am 10.12. 65 Punx auf einem Konzert verhaftet. Ihnen wurden die Haare abrasiert, zur "Reinigung" wurden sie in einen See getrieben, und dann kamen sie für zehn Tage ins Umerziehungslager. Indonesien ist an sich eins der liberaleren islamischen Länder, aber in Aceh gilt die Scharia, und der gefiel es schon mal gar nicht, dass Männer und Frauen zusammen auf einem Konzert sind. Außerdem sei das ganze Verhalten der Punx "abweichend" und deshalb unislamisch. Polizeichef Hasan: "Das ist ein freies Land, aber es gibt Grenzen."
Es gibt in praktisch allen Landesteilen Indonesiens eine große Punkszene, in der viele obdachlose Jugendliche Halt finden. Viele betteln und trampen durch das Land. Das Konzert am 10.12. war ein Solikonz für Waisenkinder. Es begann um drei und wurde um halb zehn von den Bullen abgebrochen. Als die Leute protestierten, wurden viele von ihnen mitgenommen.
Punx weltweit fanden das kritikwürdig, vor der indonesischen Botschaft in Berlin gab's ein Protestsaufen, vor der in London eine Demo mit gut 25 Leuten, und die in Moskau wurde gleich nach Bekanntwerden der Vorfälle mit entsprechenden Parolen beschriftet. In Kalifornien gab es Aktionen an zwei indonesischen Konsulaten. Und Punx in China sammeln Mixtapes, die den Verhafteten überreicht werden sollen, wenn sie wieder rauskommen.

Die Kampfkommission

Kriege bekämpfen

Der griechische totale Kriegsdienstverweigerer Gerasimos Koronaios hat seine Anklage bekommen, ihm wird der Prozess gemacht wegen Ungehorsams in Friedenszeiten. In Deutschland gibt's sowas nicht mehr, wir haben die Wehrpflicht vorerst hinter uns, und die Bundeswehr wundert sich, warum die patriotischen Massen ihr nicht scharenweise als Freiwillige zuströmen. Der diesjährige 600.000€-Etat für Feldzugsreklame in der Bildzeitung scheint es nicht rausgerissen zu haben, ebensowenig wie die massenhafte Indoktrination von Schulkindern und Arbeitslosen (wobei die WerberInnen da auch des öfteren mit Gegenpropaganda konfrontiert sind). Und von den Freiwilligen, die sich dann tatsächlich rekrutieren lassen, ist ein Drittel schon nach kurzer Zeit wieder weg – die Einen hauen von sich aus ab, die Anderen werden wegen körperlicher Untauglichkeit ausgemustert.
Die völkerrechtswidrig auf dem Luftwaffenstützpunkt in Büchel/Eifel gelagerten schätzungsweise 20 Atombomben werden endlich abgezogen. Allerdings ist das angeblich kein Erfolg der jahrzehntelangen Proteste, sondern die sollen bloß in den USA modernisiert werden und dann zurückkommen.
In Afghanistan sind bei einem Nato-Angriff in der Nacht auf den 18.5. mal wieder Menschen getötet worden. Sehr viele Menschen dort waren der Meinung, es habe sich um "zahlreiche Zivilisten" gehandelt, deswegen demonstrierten anschließend 2000 Leute vor der Bundeswehrbasis in Talokan gegen die Besatzung und ihre Methoden. Die Bundeswehr verteidigte tapfer die Freiheit des deutschen Volkes und ballerte in die Menge. Elf Tote, 50 Verletzte, und diesmal ist ziemlich unstrittig, dass es sich um ZivilistInnen handelte. Allerdings behauptet die Bundeswehr, die Schüsse seien teilweise von afghanischen Sicherheitskräften abgegeben worden und die Menge hätte auch Steine und Handgranaten geworfen. Die IPPNW protestierten, es gehe nicht an, scharf auf DemonstrantInnen zu schießen, vor allem, weil die völlig zurecht gegen einen Natoeinsatz protestiert hatten. Die nächtlichen Killerangriffe der Nato auf vermutete Feinde seien selbst dann, wenn sie nicht unschuldige ZivilistInnen treffen, nichts anderes als extralegale Hinrichtungen.
Am 23.11. wurde Inge Viett (Ex-RAF/2. Juni) vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen öffentlicher Billigung von Straftaten zu 1200€ Strafe verknackt. Die verabscheuungswürdige, durch nichts zu rechtfertigende Äußerung der Terroristin lautete: "Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion wie auch Sabotage im Betrieb an Rüstungsgütern, illegale Streikaktionen, Betriebs- und Hausbesetzungen, militante antifaschistische Aktionen, Gegenwehr bei Polizeiattacken."
Der Sozialarbeiter meckert, die olle Inge ist jetzt so lang fürs Bombenlegen im Knast gehockt und jetzt ist sie gegen Bomben und es ist wieder nicht recht, aber der hat ja keine Ahnung. Das ist nämlich laut Urteil keine durch das Grundgesetz gedeckte freie Meinung, weil sie nämlich den öffentlichen Frieden stört, auch wenn ideologisch verblendete Menschen denken, dass sie eigentlich vielmehr den Krieg stört. Aber der Krieg ist natürlich Teil des öffentlichen Friedens und steht unter entsprechendem Schutz. Wo kämen wir denn hin? Mal bestimmt nicht bis an den Hindukusch, geschweige denn nach Sibirien.
Schweden ist ja bekanntlich neutral und hat mit diesem ganzen Militärkram nix am Hut. Also eigentlich. Außerdem ist es noch schön groß und abgelegen, und deswegen gibt's im Norden des Landes den sogenannten NEAT – nicht zu verwechseln mit den Eisenbahntransitstrecken der Schweiz; in Schweden heißt diese Abkürzung North European Aerospace Testrange. Dieser NEAT umfasst ein Sperrgebiet von 3300km² am Boden und 24.000km² in der Luft und wird ganz neutral an die Nato und deren Einzelstaaten für Tests von Drohnen und Raketen, Luftkampfübungen und ähnliche Spiele vermietet. Vom 22.-29.7. gab es deswegen bei Luleå ein Aktionscamp. Am 26.7. stürmten 70 Leute in mehreren Gruppen die Basis und drangen bis zu den Flughafengebäuden vor, wo sie ein riesiges rosa Peace-Zeichen auf die Landebahn malten. 30 wurden verhaftet, kamen jedoch bis zum nächsten Morgen alle wieder frei.
Wie man zum Teil des Problems wird, zeigte die Gewerkschaft ver.di mal wieder in Kiel, wo sie gemeinsam mit den großen Parteien gegen die Schließung des Marinearsenals demonstrierte und in ihrer Argumentation kritiklos die weltweiten Einsätze der Bundesmarine unterstützte. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich ja auch bei uns insbesondere am Rüstungsstandort Friedrichshafen, deswegen hier mal wieder der Hinweis auf das Projekt waffenvombodensee.webnode.com. Ein Rüstungskonzern ist übrigens auch die Firma Lagardère, die u. a. den ganzen Merchkram für St. Pauli macht: sie verkauft nebenher Mistral-Raketen und hängt mit EADS und noch dazu mit dem Atomkonzern Vattenfall zusammen.

Netzwerk Vaterlandsloser Gesellen

Im Südwesten nichts Neues

Die letzte Volksabstimmung in Baden-Württemberg ist ausgegangen wie die vorletzte: Der Widerstand hat verloren. Und zwar aus genau denselben Gründen wie vor über 50 Jahren.
Damals war es um die Länderfusion von Baden und Württemberg gegangen. In Württemberg war eine Mehrheit dafür, in Baden dagegen; theoretisch wäre aber eine Mehrheit in beiden Ländern nötig gewesen. Das Problem wurde "gelöst", indem nicht nach Ländern, sondern nach Besatzungszonen abgestimmt wurde, also Nordwürttemberg/Nordbaden und Südwürttemberg/Südbaden, so dass die jeweiligen badischen Teilbezirke einfach von den bevölkerungsreicheren württembergischen überstimmt wurden. Dieser kaltschnäuzige Abstimmungsbetrug wurde letztlich von den Gerichten gekippt, aber bis das durch alle Instanzen durch war und der Volksentscheid wirklich wiederholt wurde, vergingen über zehn Jahre, in denen fleißig Fakten geschaffen wurden, sodass der Ausstieg aus Baden-Württemberg auch in Baden keine Mehrheit mehr bekam.
So ähnlich war es auch dieses Mal. Schon 2007 haben 67.000 StuttgarterInnen ein Bürgerbegehren gegen "S21", die Tieferlegung des Hauptbahnhofs, unterschrieben (nötig wären 20.000 gewesen). Eine Abstimmung darüber wurde jedoch mit zweifelhaften Methoden nicht zugelassen, stattdessen wurden trotz wachsender Proteste Verträge unterschrieben und Bauarbeiten begonnen. Vier Jahre später wurde nun abgestimmt, und jetzt wurde argumentiert, ein Ausstieg sei viel zu teuer. Geschichte wiederholt sich...
Begleitet wurde der Abstimmungskampf von einer massiven Propagandakampagne beispielsweise in der SchwäZ, in der den Leuten erzählt wurde, dass beispielsweise die Südbahn-Elektrifizierung (Ulm-Friedrichshafen) um Jahre verzögert würde, wenn S21 nicht käme (was intern schon im Vorfeld dementiert wurde). Im Abstimmungsergebnis deutlich niedergeschlagen hat sich auch die Ankündigung, S21 sei nötig für die verbesserte Anbindung von Ulm durch den Neubau der Strecke über die Alb – in der Ulmer Region ging die Zustimmung bis an die 80%. Dabei kann die Bahn das Geld auch nur einmal ausgeben, und was in Stuttgart vergraben wird, fehlt für andere Projekte. Deswegen bekam der Ausstieg aus S21 eine Mehrheit vor allem in den Randregionen, wo die Leute schon länger auf Investitionen in ihre Bahnlinien warten; interessanterweise liegen die vor allem in Baden.
Der Widerstand gegen S21 fängt jetzt wieder bei Null an, bzw. inzwischen ist er schon wieder bei Eins, weil der Bahnchef direkt nach der Abstimmung erklärt hat, dass der angeblich gedeckelte Anteil des Landes an den Kosten eben doch steigen soll, wenn das Projekt (wie zu erwarten) teurer wird als vor der Abstimmung behauptet, weil für die Strecke nach Ulm und die Elektrifizierung der Südbahn jetzt auf einmal doch kein Geld da ist (wer hätte das gedacht, es wird alles in Stuttgart verbuddelt), und weil herausgekommen ist (bzw. eigentlich war's klar, aber jetzt ist es offiziell bestätigt), dass viele der alten Bäume im Schlosspark nicht wie im "Schlichterspruch" vorgesehen umgepflanzt werden können, sondern ca. 80 abgesägt werden sollen, was sich die ParkschützerInnen sicher nicht gefallen lassen. Konsequenterweise war die Montagsdemo am 5.12. mit vielleicht 2000 Leuten gar nicht schlecht besucht (macht jetzt aber trotzdem erst mal Weihnachtspause, weiter geht's erst am 9.1.). Und zu Weihnachten bekam der BUND für seine Klage plötzlich einen Baustopp, denn das Grundwassermanagement pumpt viel mehr Wasser ab als ursprünglich genehmigt, und außerdem ist da ja immer noch der streng geschützte Juchtenkäfer auf den Bäumen im Schlosspark, der auch nicht so einfach ausgerottet werden darf... Der Bahnhof ist noch nicht drunten!

Der Maulwurf

Zur endgültigen Liquidierung von Osama Bin Laden

Zecke: Herr Präsident Obama, Sie haben sich Ihre Wiederwahl mit der Erschießung von Osama bin Laden wahrscheinlich gesichert und sogar Angela Merkel glücklich gemacht. Wie das eben so ist beim Tod gewisser Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: auch ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören. Aber warum haben Sie ihn eigentlich nicht gefangennehmen und vor Gericht stellen lassen?
Obama: Also bitte... der hat sich mit Händen und Füßen gewehrt...
Z: ... da er ja ansonsten unbewaffnet war. Unsere pakistanischen Quellen sagen, die BewohnerInnen des Hauses seien abgeknallt worden wie die Hasen, es hätte keine Gegenwehr gegeben, geschweige denn ein Feuergefecht, und bei den zurückgelassenen Leichen seien gar keine Waffen gefunden worden.
O: Öhm... Na ehrlich gesagt hatten wir auch kein besonders großes Interesse an einem Prozess.
Z: Sie meinen an dem, was Bin Laden da wohl auszusagen gehabt hätte? Über seine Ausbildung in einem vom CIA finanzierten Terrorcamp in den 80ern in Tora Bora, was die USA damals in Afghanistan sonst noch an Terrorismusförderung betrieben haben und wie scheißegal ihnen damals Säureattentate auf unverschleierte Frauen oder Anschläge auf Schulmädchen und ihre LehrerInnen waren?
O: Ich bitte Sie, die Aussagen dieses durchgeknallten blutrünstigen Fanatikers hätte doch niemand ernstgenommen.
Z: Wieso sind Sie denn so sicher, dass er ein durchgeknallter blutrünstiger Fanatiker war?
O: Das war Einstellungsbedingung. Bei allen Anderen hätten wir Sorgen gehabt, dass die irgendwann doch mit den Sowjets oder ihren afghanischen Verbündeten Frieden schließen.
Z: Warum halten Sie eigentlich die Fotos von Osamas Leiche zurück?
O: Na die schauen einfach zu ekelhaft aus... ihm wurde zweimal in den Kopf geschossen...
Z: Das ist jetzt nicht gerade hübsch, aber aus Irak und Afghanistan liefern Sie uns doch ständig solche Bilder...
O: Ja, aber die Leichen dort sind frisch. Osama ist doch schon fast zehn Jahre tot, an Hepatitis und seinen Nierengeschichten verreckt in Tora Bora, weil er da keine Dialyse mehr bekam. Was meinen Sie, was das für eine Sauerei gibt, wenn man in so ein verwestes Teil nochmal reinschießt...
Z: Aber nachdem Sie dann auch gleich die Leiche im Meer entsorgt haben...
O: ... nach muslimischem Brauch bestattet, der ja bekanntlich erfordert, dass die Bestattung möglichst schnell zu erfolgen hat – wir wollten uns ja nicht den Zorn der islamischen Welt zuziehen...
Z: Naja, also unser Redaktions-Imam meint, eine Leiche gehört bis zum Ablauf des folgenden Tages unter die Erde und nicht nach zwei Stunden aus dem Hubschrauber ins Meer geworfen... Jedenfalls haben Sie jetzt die Leiche nicht mehr, und die Fotos rücken Sie auch nicht raus... Könnte es sein, dass es gar keine Leiche gibt?
O: Naja... noch nicht.
Z: Wir haben gehört, Sie haben da so einen speziellen Stützpunkt, so 3-4000 Kilometer südlich von Karatschi im Indischen Ozean...
O: Dieses Diego Garcia? Ach, das gehört halt den Engländern und die haben uns da freundlicherweise ein Gelände für ein Marine-Erholungsheim überlassen...
Z: Unseren Informationen nach soll Guantánamo im Vergleich dazu ein Wellnesshotel sein... Und da erholt sich jetzt Osama Bin Laden?
O: Naja... er führt ein paar entspannte Gespräche mit Leuten, die sich für seine Geschichte interessieren.
Z: Nachdem ihn sogar El Kaida schon für tot erklärt hat, müssen Sie nicht mal drauf achten, keine Spuren an seinem Körper zu hinterlassen.
O: Ja, das macht die... ähm... handwerkliche Seite der Befragungen natürlich einfacher. Also jedenfalls, sobald wir alles wissen, was der weiß, bringen wir das in Ordnung. Spielt doch keine Rolle, ob wir ihn da letzte Woche versenkt haben oder das erst in ein paar Monaten oder Jahren nachholen. Aber nicht weitererzählen, gelle.
Z: Sowas würden wir uns doch niemals erlauben! Letzte Frage, Herr Osama: Wie haben Sie es eigentlich geschafft, Präsident der USA zu werden?
O: Och, das war so ne spontane Idee... Wir hatten doch da Anno 99 (oder wann das war) diesen Anschlag auf die US-Botschaft in Tansania, und wie ich anschließend so durch die Trümmer spazier, seh ich da die Leiche von so nem jungen Kenianer. Und was soll ich Ihnen sagen, der arme Kerl hatte einen US-Pass! Na, ich natürlich die Leiche aufs Kamel geladen, den Pass eingesteckt und ab durch die Mitte. Paar Jahre später dann mal ausprobiert – war überhaupt kein Problem, mit dem Teil nach Amiland zu kommen. Ohne Turban und Vollbart kennt mich ja keiner, auf den alten Fotos sehen Sie schließlich nicht mal meine Segelohren! Bisschen dummes Gelaber vor irgendwelchen Wahlversammlungen, yes I can, hatte ich ja gerade ausprobiert, zu was ich fähig bin. Dann noch die dumme Hillary mit belastenden Aussagen eines ihrer ehemaligen Praktikanten aus dem Rennen gekickt... Sie wollte sich eigentlich gleich komplett aus der Politik verabschieden, aber der Partei war das so scheißpeinlich, dass sie sich, um das Alles unter der Decke zu halten, mit ihr und mir auf ein inszeniertes Vorwahlergebnis geeinigt haben, bei dem sie knapp gegen mich verliert. Die eigentliche Präsidentenwahl war dann bloß noch Formsache, hab schon vergessen, wie der Pappkamerad von den Reps überhaupt hieß. Jo, und nun befehlige ich ne Vernichtungsmaschine, von der ich früher nicht zu träumen gewagt hätte. Jetzt warte ich eigentlich nur noch auf Anweisungen von Allah. Ich schätze mal, er will, dass ich die Welt vor dem 23.12.2012 vernichte, nicht dass ihm dieser blöde Itzam Cab Ain mit seinem komischen Mayakalender zuvorkommt.
Z: Wir danken dem Laden für das Gespräch.


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